Seit Zuschüsse für die Tagespflege nicht mehr mit Pflegegeld und Sachleistungen verrechnet werden, erlebt diese teilstationäre Versorgungsform eine Renaissance. Berufstätige oder pflegende Angehörige von potenziellen Tagesgästen werden von ambulanten Pflegediensten, aber auch von Heimen verstärkt umworben, um professionell von Pflege und Betreuung ihres Familienmitglieds entlastet zu werden. Doch wirtschaftlicher Erfolg einer Tagespflege will gut geplant sein.
„Die Tagespflege ist 2015 wirtschaftlich attraktiv geworden", weiß der hannoversche Unternehmensberater Martin Ludwig. Denn das Pflegestärkungsgesetz I hat diese teilstationäre Lösung seit Jahresbeginn deutlich aufgewertet: Vollen Anspruch darauf haben nun anerkannt Pflegebedürftige mit Pflegestufe und Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz wie Demenzkranke - zusätzlich zu professioneller ambulanter Pflege, Pflegegeld oder Kombinationsleistungen.
Zuvor führten Tages- und Nachtpflegen eher ein Schattendasein. Denn wirtschaftlich ließen sie sich nur mit Quersubventionen aus ambulanter oder stationärer Pflege betreiben. Bundesweit entschieden sich 2013 lediglich 57.216 Kunden für die Tagespflege, auch wenn dies schon 30 Prozent mehr waren als zwei Jahre zuvor (43.782). Laut Pflegestatistik zählten die Nachtpflegen in Deutschland 2011 ganze 18 Gäste, zwei Jahre später gerade einmal 43.
„Wir beraten seit Februar verstärkt bisherige Tagesgäste, neue Kunden und ihre Angehörigen", berichtet Claudia Fromme, stellvertretende Geschäftsführerin der Diakoniestationen Hannover gGmbH. Schon habe die Belegung der jeweils 15 Pflegeplätze in den Tagespflege-Einrichtungen am Planetenring in Garbsen und im Kloster Marienwerder spürbar zugenommen. „Unser Ziel ist es, zu einer guten Auslastung, Wartelisten und dauerhafter Nachfrage zu kommen", ergänzt die Assistentin der Geschäftsführung, Melanie Schlöndorf.
Mindestens 85 Prozent der Tagespflegeplätze sollten belegt sein, damit der Betrieb wirtschaftlich lohnt, sind sich die beiden einig. Unternehmensberater aus der Region wie Diplom-Ökonom Ludwig oder Udo Winter kalkulieren meist mit einer über 90-prozentigen Auslastung, um eine Tagespflege wirtschaftlich wirklich erfolgreich führen zu können. „Die wirtschaftliche Sicherheit von Tagespflegen wird durch die Gratwanderung zwischen ausreichend hohen Vergütungssätzen und Ausnutzung der möglichen Abrechnungsmodalitäten bestimmt", formuliert die Steuerberaterin Christina Seimetz vom ETL Advision-Verbund in Steinfurt ihre Einschätzung.
Wie die stationäre Pflege wird auch die Tagespflege über vier Säulen finanziert: den Pflegesatz, die Vergütung für Unterkunft und Verpflegung, die Beförderungskosten und die anteiligen Investitionskosten. Während den Investitionsanteil je nach Bundesland die Gäste, die Kommunen oder das Land übernehmen, verhandelt der Tagespflege-Träger alles andere stets individuell mit der federführenden Pflegekasse.
Saubere Kalkulation entscheidend
„Gut vorbereitet und mit einer sauberen Kalkulation sollte der Tagespflege-Träger den Pflegekassen gegenübertreten", betont Berater Ludwig. Dabei werde die Vergütung für die Pflege entscheidend durch den Personalschlüssel, zum Beispiel einer 1:5-Betreuung und einer Fachkraftquote von 50 Prozent, und die Mitarbeitervergütungen für Leitung, Pflege und Betreuung bestimmt.„Wichtig ist es, wirklich alle Vergütungsbestandteile, also den Grundlohn, die Zuschläge, Sonderzahlungen und Arbeitgeberanteile an der Sozialversicherung und Arbeitsausfälle zu berücksichtigen", so Ludwig.
Wer aber den Pflegesatz für eine neue Tagespflege-Einrichtung gegenüber den Kostenträgern im ersten Jahr zu niedrig ansetzt, hat später Probleme, die dann tatsächlich anfallenden Kosten von den Kassen refinanziert zu bekommen. Melanie Schlöndorf: „Uns einfach die Kalkulationen anderer Tagespflegen zum Vergleich vorzulegen, um den Pflegesatz herunterzuhandeln, ist rechtlich nicht mehr möglich."
Ein gutes Pflege- und Betreuungskonzept macht es leichter, den gewünschten Pflegesatz zu erzielen. Auf die Einhaltung der Fachkraftquote von 50 Prozent, die Stärkung der Alltagskompetenz und Aktivierung der Tagesgäste, die gemeinsame, therapeutisch unterstützte Zubereitung der Mahlzeiten, selbstständiges Essen und Trinken und eine Senkung des Medikamentenverbrauchs setzt dabei die Diakonie-Tagespflege in Garbsen.
„Mit unserer hochwertigen Pflege und Betreuung, unserer guten Verpflegung und vor allem der Entlastung der Angehörigen werbe ich bei Beratungsbesuchen um Tagesgäste", berichtet deren Leiterin Petra Romaus. Natürlich verfolgen die Diakoniestationen Hannover das Ziel, ihren Tagesgästen die Vorzüge ambulanter Pflege und Betreuung im eigenen Zuhause bis zum Lebensende zu vermitteln.
Ganz bewusst entschieden sich die Diakonie-Einrichtungen dafür, die Mahlzeiten gemeinsam mit den Tagesgästen zuzubereiten statt fertige oder teilfertige Menüs anliefern zu lassen. Diese Form der Aktivierung der Gäste fügte sich gut in das Gesamtkonzept der Einrichtung ein. Tagesgäste erlebten es als Freude und persönlichen Erfolg, wenn das Selbstgekochte auch anderen schmeckt. Allein sie zahlen auch für Verpflegung und Unterkunft.
Knackpunkt: Ungedeckte Transportkosten
Knackpunkt vieler Tagespflegen im Bundesgebiet sind ihre ungedeckten Beförderungskosten. Träger von Schleswig-Holstein bis Sachsen-Anhalt, vom Saarland bis Sachsen leiden unter zu niedrigen, von Kostenträgern genehmigten Transportpauschalen. „Das ist auch bei uns ein Zuschussgeschäft", bestätigt Claudia Fromme von den Diakoniestationen Hannover.
Denn per Taxi holen die Tagespflegen in Garbsen und Marienwerder ihre Gäste kurz vor 8 Uhr von zu Hause ab und bringen sie um 16 Uhr zurück - für magere Pauschalen von 5,50 Euro beziehungsweise 6 Euro. „Hier wollen wir höhere Entgelte für die Beförderung von Rollstuhlfahrern und demenziell Erkrankten erreichen", sagt Fromme. Höhere Transportpauschalen für Rolli-Fahrer sind in Niedersachsen verhandelbar. Für den rechtssicheren Transport Demenzkranker werde oft eine zusätzliche Betreuungskraft gebraucht.
Betreibt eine Tagespflege ihren eigenen Fahrdienst, muss sie die richtigen Fahrer für die Kurzeinsätze morgens und abends finden. Die Regeln zu Mindestlohn und Personenbeförderung haben Träger ebenso zu bedenken wie Mitarbeiterausfälle durch Urlaub oder Krankheit. „Aus Konkurrenzgründen erheben die meisten Tagespflegen von ihren Gästen nicht den möglichen Eigenanteil", erklärt Melanie Schlöndorf.
Einige neue Chancen zur Refinanzierung brachte das neue Jahr: „Über die Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45b SGB XI von 104 oder 208 Euro, die jetzt allen Pflegebedürftigen zustehen, lassen sich auch Eigenanteile der Kosten für Unterkunft und Verpflegung, Investitions- oder Beförderungskosten refinanzieren", meint Steuerberaterin Seimitz. Sogar 40 Prozent ihrer Pflegesachleistungen können Tagesgäste in Betreuungs- und Entlastungsdienste umwidmen.
Die Regeln zur Kurzzeit- und Verhinderungspflege wurden auch für die Tagespflege verbessert. Bis zu 42 Tage Verhinderungspflege und 2.418 Euro Zuschuss dürfen Gäste nun beanspruchen, wenn sie im laufenden Jahr ohne Kurzzeitpflege auskommen.
Einen Zuschlag könnten Tagespflege-Betreiber übrigens verhandeln, wenn sie weitere Betreuungsleistungen durch eigens dazu eingestellte Betreuungskräfte nach § 87b SGB XI anbieten. „Diese Leistungen", so Seimitz, „können alle Gäste mit oder ohne Pflegestufe nutzen, die Hilfen in Grundpflege und Hauswirtschaft brauchen."