Wenn Kinder einen vertrauten Menschen verlieren, ist das für ihre Gefühlswelt eine Ausnahmesituation. Häufig wissen Familienmitglieder nicht, wie sie ihren Kindern in dieser Zeit helfen können. Es gibt aber professionelle Unterstützung: das Kindertrauerzentrum „Thalita". Station24 sprach mit der Pädagogischen Leiterin, Birgit Halbe, unter anderem über das Besondere der Trauerarbeit mit Kindern und ihre persönliche Motivation trotz der schweren Schicksale, ihre Arbeit nicht aufzugeben.
Frau Halbe, warum haben Sie eine ambulante Trauerbegleitung für Kinder eingerichtet?
Kinder sind nach dem Todesfall ihren Gefühlen oft hilflos ausgeliefert. Anders als Erwachsene verfügen sie häufig noch nicht über die sprachlichen Möglichkeiten, sich umfassend auszudrücken und ihre Befindlichkeit in Worte zu fassen.
Da die Trauergefühle bei Kindern eher sprunghaft und wenig greifbar sind, reagieren Erwachsene besorgt und verunsichert. Es gab also unzählige Anfragen von Eltern, Erziehern und Lehrern, die nicht wussten, wie sie mit Kindern im Todesfall und abschiedlichen Situationen umgehen sollten. Viele Angehörige machen sich Sorgen, den trauernden Kindern nicht gerecht zu werden oder etwas zu übersehen. Zumal sie ja in der Regel ebenfalls einen Verlust erlitten haben.
Zum Beispiel wenn ein Kind den Vater verloren hat, dann trauert die Mutter um ihren Ehemann und befindet sich selbst in einer Ausnahmesituation. Um trauernde Kinder und deren Eltern angemessen zu begleiten und weitere Bezugspersonen oder Institutionen beraten zu können, wurde dann 2005 unser Kindertrauerzentrum „Thalita" als ein Angebot des Kinder- und Jugendhospizes Balthasar gegründet.
Was sind die Vorteile einer ambulanten gegenüber einer stationären Begleitung?
Zunächst einmal ist Trauer keine Krankheit, die stationär behandelt werden muss, sondern eine ganz normale Reaktion auf ein Verlusterlebnis. Trauer kann aber krank machen, wenn sie keinen Ausdruck findet, unbeachtet bleibt oder verdrängt wird.
Wenn also ein Kind erlittene Verluste nicht angemessen betrauern kann, so können später auch Depressionen auftreten oder es zeigt sich beim Erwachsenen eine Unfähigkeit, eigene Bindungen einzugehen. Daher ist es wichtig, den Kindern Möglichkeiten an die Hand zu geben, ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen – beispielsweise in Kindertrauergruppen
Wie trauern eigentlich Kinder?
Kinder leben noch in einer ganzheitlichen, gefühlsbetonten Welt. Sie gehen mit ihrer Trauer anders um als Erwachsene. Ihre Gefühle sind sehr sprung- und wechselhaft und reichen von Albernheit bis hin zu Aggression, Wut und tiefer Traurigkeit. Weil kindliche Trauer weniger kontinuierlich verläuft als die der Erwachsenen, fällt es Eltern und Bezugspersonen oft schwer, Trauerprozesse bei Kindern zu erkennen und sie unterstützend zu begleiten.
Was macht die Trauerarbeit mit Kindern so besonders?
Da Kindertrauer vom Alter und Entwicklungsstand abhängig ist, brauchen sie unbedingt die Möglichkeit, Trauer und Gefühle auch nonverbal, auf kreative Art und Weise, im Rollenspiel, durch Bewegung, gestalterisch, durch Symbole und Rituale auszudrücken. Besonders an dieser Arbeit ist, dass es keine starren Vorgaben zur Gestaltung gibt, sondern nur einen Rahmen für die Begleitung. Dabei ist es wichtig, den momentanen Bedürfnissen und Fragestellungen der Kinder nachzukommen und die Angebote entsprechend zu gestalten.
Inwiefern unterscheidet sich die Begleitung von Kindern von der Trauerarbeit bei Erwachsenen?
Erwachsene trauern kontinuierlicher, finden Worte für das Geschehene und können ihre Gefühle besser identifizieren als Kinder. Für Erwachsene sind Gespräche wichtig oder der Austausch mit ebenfalls trauernden Menschen. Oft sind trauernde Erwachsene sehr gut in der Lage, für sich selbst zu sorgen in dem Sinne, dass sie sich Möglichkeiten schaffen, ihre Trauer auszuleben.
Wie helfen Sie den Kindern dabei, ihre Trauer zu überwinden?
Wir begleiten Kinder individuell auf ihrem Trauerweg, wobei wir nicht das Ziel haben, die Trauer „schön- oder wegzureden", sondern den Kindern zu vermitteln, dass es normal ist, was sie fühlen und die Trauer mit der Zeit leichter wird, beziehungsweise es leichter wird, mit ihr zu leben, sie zu akzeptieren.
Können Sie uns ein Beispiel dafür geben?
Ja. Beispielsweise arbeiten wir mit den Kindern kreativ. gehen raus in die Natur, bewegen uns. Manchmal hilft es aber auch, sich gezielt zu entspannen oder Rollenspiele zu machen. Für viele Kinder ist schon allein die Begegnung mit anderen, ebenfalls trauernden Kindern entlastend, weil sie erkennen, dass andere auch schwere Verluste beklagen und lernen, damit zu leben.
Ein wichtiger Baustein der Trauerarbeit mit Kindern ist das Sich-Erinnern an den Verstorbenen. Zum Beipspiel können die Kinder für sie wichtige Erinnerungsgegenstände mit in die Gruppe bringen und vorstellen. Mit viel Liebe zum Detail gestalten sie dann eine ganz persönliche „Schatzkiste" für ihre Erinnerungen und erkennen so: Nicht alles geht verloren. Denn es bleiben ganz konkrete Dinge der Verstorbenen und die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit.
Inwiefern beziehen Sie auch die betroffenen Angehörigen bei der Trauerbegleitung der Kinder mit ein? Zum Beispiel eine Mutter, die ihren Ehemann verloren hat.
Da sich die größte Zahl der Todesfälle im familiären Kontext ereignet, ist nicht nur das Kind, sondern das gesamte Familiensystem von den Auswirkungen des Todes betroffen. Daher begleiten wir Eltern oder weitere Bezugspersonen parallel zur Kindertrauergruppe.
Die für das Kind wichtigen Personen bekommen die Möglichkeit, sich auszutauschen, Kontakte zu knüpfen und erhalten gleichzeitig wichtige Informationen über das Verhalten trauernder Kinder und Vorschläge zum Umgang mit ihnen. Ziel ist es, das Familiensystem zu unterstützen und das gegenseitige Verständnis füreinander zu fördern. Gleichzeitig kann im Einzelfall geschaut werden, welche zusätzliche Begleitung die erwachsene Bezugsperson benötigt, und welche Entlastungsmöglichkeiten und Ressourcen die Bewältigung des Alltags erleichtern können.
Aus Erfahrung wissen wir, dass diese Unterstützung das Familiensystem stärken und entlasten kann.
Bekommen Sie auch konkrete Rückmeldungen von den Betroffenen?
Das passiert immer wieder. Eine Mutter, die den Tod ihres Mannes betrauerte, sagte uns einmal: „Danke für Eure Geduld, Eure Hilfsbereitschaft und die gute Begleitung in einer Zeit, in der es mir nicht gut ging. Danke, dass Ihr mich und meine Tochter aufgefangen habt." Das motiviert natürlich ungemein. Wie gehen Sie persönlich mit den häufig niederschlagenden Schicksalen der Kinder um?
Ich empfinde die Arbeit mit trauernden Kindern als sehr bereichernd. Kinder bringen die Dinge schnell auf den Punkt, haben manchmal sehr erfrischende Denkweisen und lassen mich viele Dinge in aller Einfachheit sehen.
Können Sie das näher beschreiben?
Zum Beispiel hat eine 7-Jährige auf die Frage, wo denn ihr toter Opa sei, geantwortet: „Wieso tot? Der Opa lebt jetzt nur woanders!" Und genau diese Sätze sind es, die mich trotz aller Schwere gerne mit trauernden Kindern arbeiten lassen.
Was genau hat es mit dem „Schreck-lass-nach"-Koffer auf sich?
Der Tod ist in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabuthema. Besonders dann, wenn Kinder mit abschiedlichen Situationen konfrontiert werden. Dabei erlebt jedes Kind immer wieder diese Situationen im ganz normalen Kinder-Alltag, etwa wenn ein totes Tier auf dem Spielplatz liegt, das geliebte Haustier stirbt, die Natur wächst und wieder vergeht. oder wenn eben ein geliebter Mensch stirbt.
Umso wichtiger ist es, dieser Trauer nicht auszuweichen, sondern das große Lebensthema „Tod" zur Sprache zu bringen. So wird klar, dass das Sterben Teil unseres Lebens ist. Kinder können aber auf diese Situation vorbereitet werden - zum Beispiel mit Hilfe unseres „Schreck-lass-nach"-Koffers.
Und was ist im Koffer?
Bilderbücher, Geschichten, Mandalas zum Ausmalen, Symbole, Fachliteratur und Filme. Die Materialien geben Hilfe und Impulse für das Aufgreifen abschiedlicher Situationen und für den Umgang mit den Themen Tod und Trauer. Der Koffer kann kostenlos im Kinderhospiz Balthasar ausgeliehen werden. Darüber hinaus bieten wir Seminare und Weiterbildungen an, um interessierten Menschen Handlungshilfen im Umgang mit sterbenden und trauernden Kindern, Jugendlichen und deren Angehörigen aufzuzeigen.
Frau Halbe, herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Johanna Kristen.