Therapeutic Touch (TT) beruht auf dem Konzept der Energiefelder. Ziel ist es, diese körpereigenen Energiefelder zu harmonisieren und zu stärken. Wie wirksam diese komplementäre Pflegemethode in der Praxis sein kann, zeigen Erfahrungen aus der Kinderpsychiatrie.
Therapeutic Touch (TT) führt die Profession der Pflege in eine neue Dimension, die das Selbstbewusstsein von Pflegefachpersonen stärkt, sie sensibilisiert und befähigt, den Menschen in seiner Ganzheit – Geist, Seele, Körper – wahrzunehmen und zu behandeln. Es entwickelt sich so eine neue Pflegekultur, die als „Nebeneffekt" positiven Einfluss auf das gesamte Betriebsklima hat. Dem Patienten bringt TT für bestimmte Zeit ein hohes Maß an Zuwendung sowie Nähe und damit die Erfahrung, dass individuell auf seine Befindlichkeit eingegangen wird. Es „wird etwas getan". Das vermittelt Hoffnung und verbessert die Stimmung nachhaltig, wirkt entspannend, bildet Vertrauen und trägt zu mehr Wohlbefinden bei. Aufgrund der hohen Akzeptanz naturheilkundlicher Methoden in der Bevölkerung hat das TT-Angebot auch einen positiven Einfluss auf das Image einer Einrichtung.
Berührung ist lebensnotwendig
Unter der Pflegediagnose „Energiefeldstörung" wird TT im Handbuch der Pflegediagnosen beschrieben und in der Pflegedokumentation dem Bereich „Verhalten" zugeordnet, als Intervention zur Förderung der psychosozialen Lebensgestaltung, des psychischen Wohlbefindens und zur Erleichterung von Veränderungen der Lebensweise. Dabei stützt man sich auf das Pflegemodell von Martha Rogers und ihrer Wissenschaft vom einheitlichen Menschen. Auch in der modernen Berührungsforschung hat man besonders in Deutschland längst erkannt, wie lebensnotwendig Berührung ist und dass die Botschaft „Ich bin lebendig" tatsächlich nicht anders transportiert werden kann als über den Körper. Der Körper spielt in der Psychologie immer noch eine zu geringe Rolle. Dabei weiß man aus der Haptikforschung längst, dass Berührung den Rang eines Lebensmittels hat.
Im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Calw Klinikum Nordschwarzwald wurde TT auf der Kinderpsychiatrie in das Stationskonzept integriert. Die Behandlungen erfolgen an einem festgelegten Wochentag, um ein kontinuierliches Angebot zu schaffen. Selbstverständlich wird die Methode wie im Fall von Marco (siehe Erfahrungsbeispiel 1) in Situationen im Stationsalltag auch flexibel angewandt, um zu intervenieren.
Marco*, sieben Jahre alt, fiel immer wieder durch extreme Wutausbrüche auf. Als ich in den Nachtdienst kam, saß er im Flur unter einem Tisch und wollte nicht ins Bett gehen. Er war wütend wegen einer Situation am Tag und kam aus seiner Wut nicht heraus. Auf den Vorfall, der seine Wut ausgelöst hatte, ging ich nicht ein, sondern zeigte Verständnis, dass man mit so viel Wut natürlich nicht einschlafen kann. Auf meinen Vorschlag hin ihm zu zeigen, wie die Wut wegginge, damit er einschlafen könne, wurde er neugierig und ließ sich auf eine zehnminütige Therapeutic-Touch (TT)-Behandlung ein. Die Wirkung zeigte sich direkt: Ohne weitere Schwierigkeiten schlief er ein. Entspannung, Stressminderung, der Abbau von Ängsten und Wut – erfahrene TT-Practitioner erleben immer wieder, dass Patienten noch während der Behandlung einschlafen.
Zwei Tage später, als ich in den Spätdienst kam, war Marco wieder in seiner Wut „gefangen". Er hatte sogar isoliert werden müssen, weil er nicht aufhörte, um sich zu treten und zu schlagen. Eine Kollegin fragte mich, ob ich etwas tun könne. Ich konnte zu Marco gehen, ohne von ihm angegriffen zu werden, ihn ruhig an den Umgang mit seiner Wut erinnern und ihm das Angebot machen, zu helfen, dass er sie loslassen könne. Aufgrund der vorausgegangenen Erfahrung konnte er sich darauf einlassen. Wenig später entschuldigte er sich bei seiner pflegerischen Bezugsperson und war in der Lage, wieder am normalen Stationsgeschehen teilzunehmen.
Bei Patienten wird Erregung und das damit einhergehende „Durcheinander im Kopf" manchmal so groß, dass auch bereits Erlerntes nicht mehr erinnert und genutzt werden kann. Das Einzige, das dann noch funktioniert, sind ältere, früh entwickelte, fest eingefahrene Denk- und Verhaltensmuster. Die Patienten fallen zurück in solche Verhaltensweisen, die immer dann aktiviert werden, wenn sie an ihre Grenzen kommen: Angriff (schreien, schlagen), Verteidigung (nichts mehr hören, sehen, wahrnehmen wollen, stur bleiben, Verbündete suchen) oder Rückzug (Unterwerfung, Verkriechen, Kontaktabbruch). Jeder Patient verliert so seine Offenheit, seine Zugänglichkeit und das Vertrauen – und damit die Fähigkeit, sich auf Neues einzulassen. Dieser Zustand ist für Patienten genauso schwer auszuhalten wie für Pflegende. Schnell fühlt man sich ebenso ohnmächtig und reagiert mit Wut oder gar Resignation.
Die Gefahr, dass Patienten in solche Situationen geraten, lässt sich abwenden, indem Gelegenheit geboten wird, genau das wiederzufinden, was sie mehr als alles andere brauchen, um sich mit anderen Menschen und dem, was sie in der Welt erleben, in Beziehung zu setzen: Vertrauen. Nichts ist in der Lage, diesen Ausnahmezustand besser aufzulösen und die erforderliche Offenheit und innere Ruhe wieder herzustellen, als das Gefühl von Vertrauen.
TT ist eine Chance, Kinder etwas über ihren Körper wahrnehmen und begreifen zu lassen. Auch jungen Menschen, die sich nicht berühren lassen wollen, bietet das Energietraining mit seinem reichen Schatz an Körperübungen den Rahmen zur Schaffung von Vertrauen. Nach und nach lernen sie, Funktionsberührungen zur Steuerung des Atemflusses anzunehmen und sich auf den gesamten Behandlungsprozess einzulassen (siehe Erfahrungsbeispiel 2).
Erfahrungsbeispiel 2
Nico* ist ein intelligenter 13-Jähriger mit hoher Grundanspannung und Aggressivität, die impulsiv aus ihm herausbrach. Von anderen Kindern distanzierte er sich, zum Pflegefachpersonal suchte er Kontakt, den er dann aber immer wieder selbst zerstörte. Zufälligen Berührungen begegnete er mit Schlägen. Da er oft über starke Rückenschmerzen klagte, bot ich ihm an, mit ihm Körperübungen für seinen Rücken zu machen. Darauf konnte er sich einlassen und genoss sichtlich die Einzelzuwendung, die ein festgelegtes Ziel hatte. Meinen Anleitungen folgte Nico gewissenhaft, er machte die Übungen täglich, auch wenn ich nicht im Dienst war. Er forderte jedoch, wenn ich im Dienst war, Einzelzuwendung und Kontrolle der Übungen durch mich ein. Über die Beschäftigung mit dem Körper und seiner Haltung konnte er bereits nach kurzer Zeit Funktionsberührungen zur Steuerung des Atemflusses am Rücken zulassen, fasste dann rasch Vertrauen und ließ immer mehr Berührung zu. Er begann, sich zu öffnen und über sich und seine Probleme zu sprechen.
TT bietet einen wichtigen Ansatz für die Entwicklung von Kindern. Es geht bei dieser Pflegeintervention nicht darum, Kindern etwas Bestimmtes beizubringen, das sie am Ende möglichst gut können. Es geht im Wesentlichen darum, die Kinder wieder neu dafür zu begeistern, was es im Leben zu entdecken und zu gestalten gibt. Sie werden ermutigt, eingeladen und inspiriert, ihre Potenziale zu erkennen, damit sich an ihrer Einstellung und Haltung etwas verändert. Wenn wir stets nur am Verhalten des Kindes etwas ändern wollen durch Belohnung und Bestrafung, ist das oftmals für alle Beteiligten frustrierend. Wenn ich Verhalten und innere Haltungen von Kindern verändern will, muss ich ihnen vor allem die Chance geben, eine andere, neue Erfahrung zu machen. TT bietet im Netz der Pflegeinterventionen eine achtsame Maßnahme, die die Handlungskompetenz und die Selbstkompetenz von Pflegenden enorm erweitert.
*Patientennamen geändert
Therapeutic Touch
Therapeutic Touch ist eine ganzheitliche Behandlungsmethode und Pflegeintervention, die mit dem Energiefeld des Menschen arbeitet und besonders die Qualität der Berührung schult. Die Wirkungen reichen von tiefer Entspannung, Verbesserung der Befindlichkeit, Reduktion von Schmerzen, Unruhe und Angst, bis hin zu verbesserter Wund- und Knochenheilung.
Die Ausbildung zum TT-Practitioner und Energietrainer mit Zertifikat bietet das Deutsche Institut für Therapeutic Touch / ISTTE in Haltern am See an. Weitere Informationen: schule@istte.de, 02364 –508885, www.istte.de.
Die Autorin belegte bei der Pflegepreisausschreibung Baden-Württemberg 2015 den zweiten Platz: Die prämierte Arbeit „Therapeutic Touch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie" kann per Mail (ruth@herbak.de) bei ihr angefordert werden.