Mithilfe moderner Computertechnik sollen an Demenz erkrankte Menschen künftig unterstützt werden, in Bewegung zu bleiben. Die Universität Siegen forscht derzeit zusammen mit anderen Partnern an einem entsprechenden Mobilisierungs-Assistenten. Ziel: Geistige und körperliche Fähigkeiten so lange wie möglich erhalten.
Wer sich bewegt, bleibt fit – auch im Kopf und das kommt an Demenz Erkrankten zugute. Denn mit dem Fortschreiten einer Demenzerkrankung nehmen geistige und körperliche Aktivitäten der Betroffenen kontinuierlich ab. Gleichzeitig steigt der Pflegeaufwand. Ein Teufelskreis entsteht: Wer sich weniger bewegt, verliert motorische Fähigkeiten und damit immer mehr Selbstständigkeit bis hin zur sozialen Isolation. An dieser Stelle setzt das neue Forschungsprojekt „MobiAssist" der Universität Siegen an. Die Forscher im Projekt beschäftigen sich mit der Frage, wie sich die geplante technische Unterstützung in den Alltag der Menschen und die tägliche Pflege im eigenen Heim integrieren lässt.
Ausreichend Bewegung verlangsamt den Verfallprozess
Kern des Projekts ist eine Art Spielekonsole zur Bewegungserfassung und Animation, die an den heimischen Fernseher angeschlossen wird. Mit innovativen Spielen sollen Patienten animiert werden, in Bewegung zu bleiben und Aktivitäten des täglichen Lebens zu trainieren. Eine entsprechende Technik könne die einzelnen Bewegungen der Senioren erkennen und motivierend einwirken. So würden Aktivitäten des täglichen Lebens trainiert und gleichzeitig Sturzprävention betrieben, sagt Dr. Rainer Wieching, Projektleiter und Mitarbeiter am Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik und Neue Medien an der Universität Siegen. Aktuelle Forschungsergebnisse bestätigten, dass möglichst viel Bewegung und körperliche Betätigung das Fortschreiten der Demenz verlangsamten und so einer frühen institutionellen Pflegebedürftigkeit vorbeugen könnten.
Einen Anreiz für die Anwender, die Konsole zu nutzen, geben individuelle Besonderheiten der Patienten: „Wir werden biografische Elemente der Patienten in die Spiele integrieren", verrät Wieching. Geplant sei dafür eine offene Schnittstelle, sodass Angehörige oder Betreuer selbst individuelles Material einstellen könnten. Ziel sei es, die Patienten zu Bewegung zu animieren. Das sei gerade bei an Demenz erkrankten Menschen eine besondere Herausforderung. Wer erfolgreich spiele und sich ausreichend bewege, werde mit Musik und Filmen aus der eigenen Vergangenheit oder Bildern und Grußbotschaften von den eigenen Enkelkindern belohnt. „Diese biografischen Elemente helfen, den Zugang zu der dementen Person zu erleichtern", so Wieching. Gleichzeitig würden Angehörige und Betreuer aufgrund des partizipativen Designs entlastet.
Muskeltraining und Gehirnjogging in einem
Vorbild für das Projekt ist „iStoppFalls", ein EU-gefördertes Projekt, das Wieching ebenfalls koordiniert hat und das bereits gute Resonanzen bei gesunden Senioren erzielte. Seit Oktober 2011 hat er sich im Rahmen dieses Projekts mit der Frage beschäftigt, wie ältere Menschen vor den Gefahren von Stürzen und Unfällen geschützt werden können. Die Teilnehmer der Studie trainierten ihr Gleichgewicht, Reaktionsfähigkeit und Kraft, also jene Fähigkeiten, die sie eines Tages vor einem folgenreichen Sturz bewahren könnten. Ähnlich wie auch im aktuellen Projekt animieren Programme wie Ski-Slalom oder Jogging zum aktiven Mitmachen. Was die computeranimierte Person auf dem Bildschirm vorturnt, gilt es in der Realität nachzuahmen. Eine Kamera wacht derweil darüber, dass der Senior seine Muskulatur auch mit den richtigen Bewegungen trainiert. Zwischendurch stellt das Programm immer wieder kleine Rechen- oder Denksportaufgaben.
Das neue Projekt „MobiAssist" ist im November gestartet und wird mit insgesamt 1,6 Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Beteiligt sind neben der Universität Siegen die Diakonie Südwestfalen als Projektkoordinator, die Deutsche Sporthochschule Köln, die Charité – Universitätsmedizin Berlin, die BAGSO Service GmbH und weitere Softwareentwicklungspartner. Projektbestandteil ist auch ein sogenanntes Living Lab, das mit Unterstützung der Diakonie im Siegerland aufgebaut wird. In diesem realweltlichen „Labor", also zu Hause oder in der Tagespflege, soll die Assistenz-Technik gemeinsam mit Betroffenen und relevanten Akteuren, zum Beispiel professionellen Pflegediensten, entwickelt werden. Nach einem Jahr sollen bereits Zwischenergebnisse präsentiert werden, nach zwei Jahren starte eine abschließende Pilotstudie, sagt Projektleiter Wieching.