Der Einsatz persönlicher Assistenten nach dem sogenannten Arbeitgebermodell ermöglicht Menschen mit Pflegebedarf, ihr Leben weitgehend nach ihren eigenen Vorstellungen zu führen. Neben vielen Vorteilen bringt das selbstbestimmte Modell aber auch Pflichten für den Pflegebedürftigen mit sich.
Herr Pericic, warum haben Sie sich für das sogenannte Arbeitgebermodell entschieden? Für mich ist es das Modell mit den größten Freiheiten, ich kann selbstbestimmt nach meinem Rhythmus leben. Statt einer Unterbringung etwa in einem Heim, die für mich entmündigenden wäre, bedeutet dieses Versorgungsmodell für mich eine autarke und würdige Lebensführung. Zudem kann ich selbst entscheiden, welche Person zu mir passt und welche nicht.
Warum ist das so wichtig für Sie?
Die Assistenten haben Einblick in meine intimsten Angelegenheiten. Insbesondere die körperliche Nähe, die sich nicht allein aus der Ausübung der pflegerischen Tätigkeit ergibt, bedingt einen feinfühligen Umgang miteinander. Gerade in so einem sensiblen Bereich möchte ich nicht die Entscheidungsgewalt in fremde oder mir unsympathische Hände legen.
Arbeitgebermodell klingt zunächst sehr bürokratisch. Was steckt genau dahinter?
Hinter diesem Modell steckt ein individuelles Hilfemodell, das auf der Kooperation zwischen Hilfeempfänger und Assistent basiert. Es dient in erster Linie dem Zweck der Selbsterhaltung und selbstständiger Lebensführung.
Wie meinen Sie das?
Persönliche Assistenten ermöglichen Menschen mit Unterstützungsbedarf, ihr Leben weitgehend nach eigenen Vorstellungen und angepasst an den individuellen Tagesablauf zu führen. Der notwendige Hilfebedarf kommt dabei keineswegs zu kurz. Vorteil ist, dass sich die Person, die Hilfe braucht, nicht nach einem vorgegebenen Ablaufschema richten muss, sondern umgekehrt: Sie steht im Mittelpunkt und die notwendigen Aktionen werden an ihre Bedürfnisse und Wünsche angepasst.
Was bedeutet Assistenz dabei konkret?
Der Umfang des individuell zu bestimmenden Assistenzbedarfs hängt von Art und Schwere des jeweiligen Unterstützungs- beziehungsweise Pflegebedarfs ab und kann sich auf bis zu 24 Stunden täglich belaufen. Während dieser Zeit ist der Assistent permanent anwesend und bei Bedarf verfügbar. Der persönliche Assistent unterstützt in der häuslichen Pflege, der Haushaltsführung, begleitet aber auch zu Freizeitaktivitäten oder hilft bei Ausbildung und Studium und kompensiert alle behinderungsbedingten Einschränkungen.
Das ist ein sehr breites Spektrum. Wie wird gewährleistet, dass der persönliche Assistent wirklich die nötigen Bereiche professionell abdeckt?
Prinzipiell basiert das Arbeitgebermodell auf dem Prinzip angelernter Laienkräfte. Je nach Unterstützung sind aber auch examinierte Pflegende im Einsatz. Die Einarbeitung der Assistenten erfolgt in der Regel durch die bedürftigen Menschen selbst sowie über ergänzende Fortbildungsveranstaltungen – auch wenn es dafür nur wenige Angebote gibt. Ich als derjenige, der Assistenz in Anspruch nimmt, bestimme darüber, wo, wann, wie und durch wen die notwendige Unterstützung erbracht wird. Mir persönlich ist sehr wichtig, dass ich diese Entscheidungsgewalt habe. Einen Knackpunkt gibt es allerdings.
Inwiefern?
Der Begriff der persönlichen Assistenz ist nicht geschützt und wird in unterschiedlicher Weise verwendet und ausgelegt. Insbesondere die Abgrenzung zu Betreuungsleistungen erweist sich oft als schwierig. Zudem gibt es verschiedene Modelle, wie eine solche Assistenz organisatorisch umgesetzt werden kann. Das Arbeitgebermodell ist dabei eine Variante.
Was genau passiert, wenn man sich auf ein Arbeitgebermodell einigt?
Im Arbeitgebermodell wird die Person, die Unterstützung benötigt, zum Arbeitgeber und der Assistent zum Arbeitnehmer mit allen damit zusammenhängenden Rechten und Pflichten. Der Assistenznehmer ist als Entscheidungsträger sozusagen verantwortlich für den Betrieb im eigenen Haushalt. Die Umsetzung des Arbeitgebermodells liegt vollständig in seiner eigenen Verantwortung und auch für die ihm zufallenden Aufgaben ist er selbst verantwortlich.
Was sind das für Aufgaben?
Dem Arbeitgeber, also mir, obliegt die gesamte Personalverwaltung und Lohnabrechnung. Darunter fallen beispielsweise auch die Fürsorgepflicht für den Assistenz Leistenden oder die Erstellung sowie Koordination des Dienstplans inklusive Krankheits- und Urlaubsvertretung. Für mich, der rund um die Uhr Assistenz benötigt, heißt das, dass ich ständig acht bis neun Personen koordinieren muss – eine Person arbeitet Vollzeit für mich, drei in Teilzeit, hinzu kommen ein geringfügig Beschäftigter und zwei Studenten. Mit ihnen allen habe ich jeweils einen Arbeitsvertrag geschlossen. Ich zahle Steuern, Sozialabgaben und Unfallversicherung für sie.
Sie sind der Chef eines kleinen Unternehmens...
Ja – und dieser Verantwortung muss man sich bewusst sein. Auch wenn ich selbst krank werde, muss ich mich weiterhin um die Büroarbeit kümmern und für eine kontinuierliche Einsatzplanung meiner Assistenten sorgen. Über einen längeren Zeitraum geht das nur mit einem gut eingespielten Team. Deswegen ist das Arbeitgebermodell sicherlich nicht für jeden geeignet. Auch die Einarbeitung der Assistenten ist zeitintensiv. In meinem Fall dauert das je Assistent ungefähr drei Monate.
Wie ist die Finanzierung geregelt?
Für die persönliche Assistenz müssen unter Umständen mehrere Anträge bei unterschiedlichen Kostenträgern parallel gestellt werden, wenn die Assistenz für unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden soll. Ein wesentlicher Teil der Assistenzstunden wird über die Hilfe zur Pflege abgewickelt. Vorrangiger Ansprechpartner ist hierbei die Pflegeversicherung. Ist der Assistenzbedarf allerdings sehr hoch wie bei mir, reichen die Leistungen der Pflegeversicherung in der Regel nicht aus. Dann können weitere Gelder über die Sozialhilfe beantragt werden. Ist eine Person mit Unterstützungsbedarf berufstätig und benötigt auch Assistenz am Arbeitsplatz, kann diese beim Integrationsamt die Kostenübernahme für eine Arbeitsassistenz beantragen. Seit 2008 können Leistungen zur persönlichen Assistenz auch als sogenanntes persönliches Budget beantragt werden.
Was bedeutet das?
In diesem Fall bekomme ich als Assistenznehmer die bewilligten Gelder auf mein Arbeitgeberkonto überwiesen. Über dieses Budget entscheide ich dann eigenverantwortlich und kann mir damit Hilfe, also Assistenz, sozusagen einkaufen.
Wie regeln Sie die Finanzierung Ihrer Assistenten?
Insgesamt entstehen für meine persönlichen Assistenten monatliche Kosten von insgesamt mehr als 10.000 Euro. 728 Euro erhalte ich über das Pflegegeld, den Rest vom Sozialamt. Die Finanzierung gestaltet sich schwierig. Das nicht zuletzt deshalb, weil ich, der auf Hilfe von sozialen Diensten angewiesen ist, nur ein Vermögen von 2.600 Euro besitzen darf. Das Bundeskabinett hat zwar im Juli ein neues Teilhabegesetz auf den Weg gebracht. Inwiefern das aber tatsächlich künftig mehr Vermögen zulässt, bleibt noch abzuwarten. Unter den jetzigen Bedingungen ist die Gefahr der Altersarmut jedenfalls sehr groß.
Sie haben immer mindestens eine Person an Ihrer Seite. Privatsphäre gibt es keine und dennoch ist das Ihr bevorzugtes Modell. Warum?
Natürlich gibt es Momente, in denen ich gerne allein wäre. Doch wünsche ich mir in meiner Situation kein anderes Modell als die persönliche Assistenz zur selbstständigen Lebensführung. Dabei kommt es aber sehr auf die Professionalität des Assistenten an. Ein gut ausgebildeter Assistent weiß, in welchen Situationen er lieber nichts sagen oder über welche privaten Informationen er nicht mit mir diskutieren sollte. Letztlich bin ich mit meinen Assistenten sehr innig zusammen. Das nehme ich nur allzu gerne in Kauf. Denn statt eines fremdbestimmten, unwürdigen Lebens in einem Heim, erlaubt mir dieses Modell ein Größtmaß an eigenverantwortlicher Lebensgestaltung und Selbstbestimmung.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Pericic.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Im Arbeitgebermodell stellt die Person mit Unterstützungsbedarf seine Assistenten selbst ein und fungiert als deren Arbeitgeber
- Die Assistenten sind als abhängig Beschäftigte für die Person mit Unterstützungsbedarf tätig
- Für die Finanzierung der persönlichen Assistenz gibt es unterschiedliche Kostenträger. Welcher davon im individuellen Fall zuständig ist, hängt von der Ursache der Behinderung und von der Art der benötigten Hilfe ab. Folgende Kostenträger können zuständig sein: Pflegeversicherung, Krankenkasse, Versorgungsamt (für Wehr- und Zivildienstopfer sowie für Impfgeschädigte), Unfallversicherung oder Sozialhilfe (Hilfe zur Pflege/Eingliederungshilfe)
- Der Verein zur Assistenz Behinderter e.V. unterstützt und beträt Interessierte bei der Umsetzung des Arbeitgebermodells. www.assistenzverein.de