Ein Gastbeitrag von Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV)
Die Zahngesundheit älterer Pflegebedürftiger, Behinderter und von Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz ist oft deutlich schlechter als die der übrigen Bevölkerung. Das Bundesgesundheitsministerium plant daher, ab dem nächsten Jahr ein zahnärztliches Präventionsmanagement gesetzlich zu verankern. Vor kurzem hat sie den Referentenentwurf für ein GKV-Versorgungstärkungsgesetz (GKV-VSG) vorgestellt. Als Mittler zwischen Zahnarzt und Pflegebedürftigen soll das Pflegepersonal dabei eine zentrale Rolle spielen. Ein dann rechtlich verbrieftes Präventionsmanagement würde Menschen in Pflegeinrichtungen, die nicht mehr selbstbestimmt leben können und Betreuung und Hilfe bedürfen, die gleichberechtigte und umfassende Teilhabe an moderner Zahlheilkunde ermöglichen.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es in Deutschland zum Jahresende 2011 etwa 2,5 Millionen Pflegebedürftige. Davon wurden knapp 1,8 Millionen - etwa 70 Prozent - zu Hause versorgt, davon wiederum 1,2 Millionen alleine durch Angehörige und etwa 600.000 zusammen mit ambulanten Pflegediensten. Mehr als 700.000 Pflegebedürftige (etwa 30 Prozent) hielten sich in vollstationären Pflegeeinrichtungen auf.
Insbesondere ältere Pflegebedürftige, multimorbide Patienten und Menschen mit Handicap oder eingeschränkter Alltagskompetenz schaffen die tägliche Mundpflege häufig nicht mehr. Sie verstehen möglicherweise die Anweisungen ihres Zahnarztes nicht oder können vielleicht seine Praxis gar nicht mehr ohne fremde Hilfe aufsuchen. Ihre Anfälligkeit für Karies-, Parodontal- und Mundschleimhauterkrankungen sowie für die Bildung von Zahnbelägen ist daher überdurchschnittlich hoch.
Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter
Für uns Zahnärzte ist die gesetzliche Verankerung eines solchen Präventionsmanagements für diese Risikogruppe ein zentraler Baustein unseres Versorgungskonzeptes „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter". Gemeinsam mit der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und verschiedenen wissenschaftlichen Fachgesellschaften hat die KZBV dieses Konzept bereits im Jahr 2010 vorgestellt. Darin enthalten ist auch ein Prophylaxe-Leistungskatalog für Versicherte, die aufgrund körperlicher oder geistiger Einschränkungen nicht mehr fähig sind, eigenständig Mund- oder Prothesenhygiene zu betreiben.
Der Referentenentwurf zum GKV-VSG greift in dem neuen Paragrafen 22a SGB V diese Leistungen im Wesentlichen auf. Sie umfassen insbesondere
• die Erhebung eines Mundgesundheitsstatus,
• die Aufklärung über die Bedeutung der Mundhygiene und über Maßnahmen zu deren Erhalt,
• die Erstellung eines Plans zur individuellen Mund- und Prothesenpflege sowie
• die Entfernung harter Zahnbeläge.
Basierend auf dem zahnärztlichen Konzept des Jahres 2010, hat die KZBV Ende des Jahres 2012 in ihrer „Agenda Mundgesundheit" den weiteren Handlungsbedarf im Bereich der Alters- und Behindertenzahnmedizin beschrieben. Als Hauptziel der Vertragszahnärzteschaft für die kommenden Jahre wurde darin die weitere Verbesserung der Mundgesundheit der Bevölkerung formuliert. Dazu gehört, dass Menschen auch bei steigender Lebenserwartung ihre natürlichen Zähne möglichst bis zum Lebensende behalten und gesund erhalten können – auch dann, wenn sie ein erhöhtes individuelles Erkrankungsrisiko haben.
Wirksame Unterstützung durch qualifizierte Pflegekräfte
Wie können Pflegekräfte die Erhaltung der Mundgesundheit von Pflegebedürftigen wirksam unterstützen? Besonders die Aufklärung zur Bedeutung der Mundhygiene und die Maßnahmen zu deren Erhalt helfen dabei, die tägliche Mund- und Prothesenhygiene zu verbessern. Dabei ist die Mitwirkung von qualifizierten Pflegekräften besonders wichtig. Im Rahmen der Aufklärung sollen sie zum Beispiel Informationen des Zahnarztes über die richtige Putztechnik, Prothesenreinigung, zahngesunde Ernährung und die häufig nicht bekannten Zusammenhänge zwischen Mund- und Allgemeingesundheit weitergeben. Der Plan zur individuellen Mund- und Prothesenpflege enthält Angaben zu den jeweils notwendigen und sinnvollen Maßnahmen für die tägliche Mund- und Prothesenhygiene. Abhängig von den individuellen Einschränkungen des Patienten geht aus dem Plan hervor, welche Maßnahmen vom Patienten oder seiner Pflegekraft wie oft absolvieren werden sollten. Als Beispiele seien hier Kariesvorsorge und Zahnreinigung genannt.
Kooperationsverträge zwischen Zahnärzten und stationären Pflegeeinrichtungen
Die Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten und Pflegeeinrichtungen wird in Zukunft noch enger. Seit dem 1. April 2014 können die regionalen Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZVen) auf Antrag von Pflegeheimen Kooperationsverträge mit Zahnärzten vermitteln. Bis zum 1. Juni 2014 sind bundesweit bereits 390 solcher Verträge vor Ort abgeschlossen worden – Tendenz stark steigend. Ziel einer solchen Übereinkunft ist eine systematische und perspektivisch angelegte Betreuung Pflegebedürftiger in Heimen und Krankenhäusern, um Zahnerkrankungen zu vermeiden oder frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. In absehbarer Zeit könnte also jede stionäre Pflegeeinrichtung in Deutschland einen eigenen Kooperationszahnarzt haben. Für die zahnmedizinische Prävention von Pflegebedürftigen und Menschen mit Handicap wäre das eine echte Verbesserung.
Literatur
Vgl. Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2011, Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung, Deutschlandergebnisse, Wiesbaden 2013, S. 9 und https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Pflege/Tabellen/PflegebeduerftigePflegestufe.html.