"Was ist Pflege? Was ist gute Pflege?" Diese Fragen haben Theologen, Philosophen und Pflegewissenschaftler am Wochenende auf einem internationalen Kongress im rheinland-pfälzischen Vallendar diskutiert. Dabei lautete der Tenor: Es geht um mehr als Fachwissen und fachliches Handeln.
„Pflege, als soziales Handeln verstanden, realisiert sich im Spannungsfeld von normativen wie pragmatischen Aspekten", sagte Manfred Hülsken-Giesler, Professor am Lehrstuhl für Gemeindenahe Pflege der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar (PTHV). Dabei spielten kulturell und biografisch begründete Präferenzen ebenso eine Rolle im täglichen Handeln wie die zeitgenössischen Rahmenbedingungen. Über „gute Pflege" zu sprechen, müsse heißen, dass die berufliche Pflege so wie heute auch künftig an der Schnittstelle zwischen der Lebenswelt von Hilfeempfängern und Angehörigen sowie den Bedingungen des Gesundheits- und Pflegesystems bestimmt werde. „Berufliche Pflege bedarf dazu einer ‚inneren‘ wie einer ‚äußeren‘ Professionalisierung", so Hülsken-Giesler.
Für die Gerontologische Pflege vertrat Helen Güther, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Gerontologie der PTHV, die These, dass der Aspekt der Langzeitpflege in den Vordergrund rücke und es daher von besonderer Relevanz sei, „die Zielsetzung nicht allein auf die medizinische Pflege, sondern auf die Beziehungspflege, auszurichten". Ähnlich äußerten sich auch die Teilnehmer einer Schwerpunktveranstaltung zum Thema „Demenz als gesellschaftliche Herausforderung".
„Wenn wir Menschen mit Demenz als ‚seelenlose Hüllen" betrachten, dann sind sie bereits gestorben, bevor ihr physischer Tod eingetreten ist", sagte Hermann Brandenburg, Lehrstuhlinhaber für Gerontologische Pflege der PTHV. Entscheidend sei, „mit welchem Blick auf die Demenz geschaut werde, in welcher Art und Weise wir diese Personen in unser Gemeinwesen einbeziehen und was wir von ihnen zu lernen bereit sind."
Um Praktiken im Umgang mit Sterben und Tod und aktuelle Diskurse zu diesen ging es in einem von Helen Kohlen, Professorin am Lehrstuhl für Care Policy und Ethik der PTHV, geleiteten Workshop. Auch hier wurde in den einzelnen Beiträgen auf Basis empirischer Befunde die pflegerische Notwendigkeit sorgender Aktivitäten für und mit sterbenden Menschen einschließlich ihrer Angehörigen evident. Eine zentrale Frage lautete zudem, ob die Bedingungen und Kompetenzen hierfür lediglich in einem palliativen Setting vorhanden sein sollten.
Der mittlerweile zum sechsten Mal stattfindende internationale „Forschungswelten"-Kongress bot den 260 Teilnehmern insgesamt 60 Einzelbeiträge von Referenten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz als Hauptvorträge, in Workshops und Symposien. Themenstellungen waren unter anderem neue Entwicklungen und Erkenntnisse zu Instrumenten und Methoden der Wissenschaften, zur Versorgungsqualität von Pflegeeinrichtungen, zur Demenz, Ethik und Politik.
Mitorganisator Brandenburg war in seiner Eröffnungsrede auf das Verhältnis von Theorie und Praxis in Pflegewissenschaft und Gerontologie eingegangen. Die beiden unterschiedlichen Wissensformen könnten sich gegenseitig befruchten, sollten aber nicht gleichgesetzt werden. So könne die Theorie der Praxis nutzen, aber nicht allein zur Veränderung führen. „Statt einem Theorie-Praxis-Transfer ist eine Transformation von Theorie und Praxis der bessere Weg", so Brandenburg.
Dem schloss sich auch Professor Hanna Mayer an, Vorstand des Instituts für Pflegwissenschaft an der Universität Wien. Für sie stehen Pflegewissenschaft und Pflegepraxis in einem konstruktiven Spannungsfeld zueinander. „Die Herausforderung liegt im Balanceakt, im Zusammenspiel beider", so Mayer.
Über die zunehmende Bedeutung der Pflegewissenschaft für die Politik diskutierten der Dekan der Pflegewissenschaftlichen Fakultät der PTHV, Professor Frank Weidner, und der stellvertretende Pflegedirektor des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder Trier, Markus Mai unter dem Titel „Pflege. Macht. Politik. (Pflege-) Wissenschaftlich fundierte Politikberatung – wie geht das?" Pflegepolitik in Bund, Ländern und Kommunen werde gerade angesichts des demografischen Wandels immer komplexer und vielfältiger. Darum könnten „viele Fragen heute nur noch auf wissenschaftsfundierter Grundlage beantwortet werden", fasste Weidner die Ergebnisse zusammen und plädierte: „Die Pflegewissenschaft muss sich ihrerseits mit Fragen der professionellen Politikberatung auseinandersetzen."