Die aktuelle Gießener Sterbestudie offenbart eine gute bis sehr gute Qualität der Versorgung sterbenskranker Menschen in deutschen Hospizen. Die Einrichtungen punkten vor allem mit ausreichend Personal, Zeit und einer adäquaten Kommunikation. Wir sprachen mit Studienleiter Wolfgang George über Hintergründe, Herausforderungen und Wünsche für die Zukunft.
Herr George, Ihre aktuelle Sterbestudie zeigt eine hohe Versorgungsqualität in deutschen Hospizen. Kliniken und Heime hingegen schneiden im Vergleich schlechter ab. Woran liegt das?
Die Versorgungsaufträge und auch die Ziele der drei benannten Einrichtungsformen sind sehr unterschiedlich - insbesondere die des Krankenhauses. Es ist von seinem Auftrag und Selbstverständnis her Ort des Lebenserhalts und das auch in Grenzsituationen.
In Hospizen hingegen ist es das klar formulierte Ziel, palliativ zu versorgen. Im Vergleich zu den Heimen fällt auf, dass Hospize über deutlich bessere finanzielle und damit auch personelle Voraussetzungen verfügen.
Alle sprechen von Personalknappheit und Sparzwängen in der Pflege. Da erscheint diese Situation doch eher verwunderlich?
Sie müssen es so sehen: Die einzelnen Hospizeinrichtungen haben es verstanden, sich als wichtige regionale beziehungsweise gesellschaftlich getragene Partner zu etablieren. Die Fähigkeit zur Kooperation und die damit einhergehenden Einbindung von Bürgern, öffentlicher Gemeinde, Kirche und auch anderen Meinungsbildnern wie etwa den Medien und Kulturträgern zeichnet die Hospizbewegung bis heute geradezu einmalig aus.
Was bedeutet diese Entwicklung für die Betreuung Sterbender?
Sterbende Patienten in den Hospizen befinden sich in weitestgehend geklärten Behandlungs- oder Betreuungsprozessen. Der Primat allen Handelns ist das palliative Konzept. Das heißt: bestmögliche Symptomkontrolle, Pflege der sozialen Interaktion, Möglichkeiten der inneren und äußeren Abschiednahme und eben keine als unnötig identifizierbare Diagnostik oder Therapie.
Wo sehen Sie trotz der positiven Ausgangslage Handlungsbedarf?
Der entscheidende Punkt ist, dass nur etwa 3 Prozent der Menschen in Deutschland in Hospizen sterben. Selbst wenn es gelänge, deren Anzahl in den nächsten 10 Jahren zu verdreifachen - was ich für sehr anspruchsvoll halte - würde auch dann nur jeder zehnte Bürger in einem Hospiz betreut werden können.
Wünschen würde ich mir, dass sich regionale Bündnisse und Kooperationen darauf konzentrieren, Pflegeheime und auch das Krankenhaus vor Ort zu entlasten. Denn es gilt, todkranken Menschen unabhängig von deren Betreuungsort ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen.
Die Ausbildung von Pflegenden in Hospizen ist Ihrer Erhebung zufolge unzulänglich. Warum?
Dies ist ein Ergebnis, das sich insgesamt auf mehr als 4.000 befragte Mitarbeiter bezieht. Unabhängig davon, ob diese in Krankenhäusern, Pflegeheimen oder eben in einem Hospiz arbeiten. Erst nachträglich erworbene Fort- und Weiterbildungen zur Betreuung Sterbender werden als hilfreich beschrieben.
In welcher Berufsgruppe ist die Vorbereitung auf die Betreuung Sterbender am schlechtesten?
Ganz klar bei den Ärzten. Sie berichten durchweg von einer unzureichenden Vorbereitung auf die belastenden Momente, die sie im Berufsalltag erleben. Klar ist allerdings, dass die pflegerische und ärztliche Betreuungsarbeit sowie die Auseinandersetzung mit den eigenen, schweren Erfahrungen, neben einer guten Ausbildung - die so häufig nicht existiert - eine kontinuierliche Weiterbildung brauchen.
Das heißt ganz konkret?
Ein einmaliger Kurs allein reicht nicht aus. In der neuen Ausbildungsverordnung für angehende Mediziner ist zwar mittlerweile das Fach Palliativmedizin aufgenommen, was aber das eigentliche Dilemma nicht löst. Denn die Konfrontation mit dem Tod findet häufig sehr früh im Berufsleben statt und führt in den meisten Fällen zu einer großen emotionalen Belastung. Diese wiederum lösen die betroffenen jungen Mitarbeiter insofern, dass sie todkranke Patienten eher meiden. Umso wichtiger ist es, diese Erfahrungen aufzuarbeiten.
Was wünschen Sie sich für die Pflege Sterbender in stationären Hospizen?
Unsere Gesellschaft darf sich nicht allein auf den Ort Hospiz verlassen. Wir sollten unsere Kenntnisse und Motivation für alle Sterbenden einsetzen und auch die stationären Pflegeeinrichtungen aktiv ansprechen. Wie solche Wege des Transfers organisiert und effektiv genutzt werden können, wollen wir unter anderem auf dem 3. Kongress zur Gießener Sterbestudie am 6. November diskutieren.
Herr George, herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Johanna Kristen.
Vorreiter Hospiz - Zusammenfassung der Ergebnisse der Gießener Sterbestudie 2015