Ein Demenzdorf in den Niederlanden bietet dementen Bewohnern größtmögliche Freiheit. Ob dieses Beispiel auch ein Ansatz für Deutschland sein kann hat sich Brigitte Paetow für die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen angesehen.
Das Projekt „WEDO II – für Wohlbefinden und Würde im Alter" ist eine europäische Lernpartnerschaft mit Partnern aus sieben Ländern, die bei der Entwicklung von Dienstleistungen zur Verbesserung der Lebensqualität älterer Menschen mit Unterstützungs- und Pflegebedarf zusammenwirken und zur Prävention von Gewalt in der Pflege beitragen wollen.
Die niederländische Partner-Organistation in diesem Projekt – LOC Zeggenschap in zorg – organisierte einen sehr informativen Studienbesuch mit Teilnehmern aus Deutschland, Österreich und Belgien. So hatte ich am 9. Februar 2015 die Gelegenheit, das Demenzdorf „De Hogeweyk" etwa 20 Kilometer südlich von Amsterdam zu besichtigen. Es ist das weltweit erste Projekt dieser Art, wurde Ende 2009 eröffnet und wird deshalb von Personen und Gruppen aus vielen Ländern besucht. Denn in fast allen Ländern wird nach Lösungen zum Umgang und der Betreuung der wachsenden Anzahl von Menschen, die an Demenz erkranken, gesucht.
Wie in einer Kleinstadt
In meiner langjährigen ehrenamtlichen Tätigkeit in der Seniorenpolitik habe ich schon viele Einrichtungen für pflegebedürftige Personen – auch von solchen mit Demenzerkrankungen – kennengelernt. So war ich gespannt, was mich erwarten würde. Nach der Anmeldung in der Rezeption steht man am Anfang eines 15.000 Quadratmeter großen Geländes: Rechts ein Platz mit einem Theater, gerade aus ein langer Boulevard mit unterschiedlichen Einrichtungen wie man sie in einer Kleinstadt kennt, links eine Passage mit Restaurant, Café und Supermarkt. Das Gefühl, eine „Einrichtung" betreten zu haben, war verschwunden und kam während der zweistündigen Besichtigung nicht wieder auf.
In dem Dorf sind insgesamt 152 Bewohner in 23 Häusern untergebracht. In jeder Wohnung leben sechs Bewohner zusammen. Sie haben ein eigenes relativ kleines Zimmer, ergänzt durch einen geräumigen Gemeinschaftsraum mit Küche sowie zwei Bäder und eine Toilette. Die „Hausgemeinschaften" unterscheiden sich in Ausstattung und Alltagsgestaltung von einander und berücksichtigen die unterschiedlichen „Lebensstile" der Bewohner. Neue Bewohner werden im Hinblick auf ihre mit einem Fragebogen erhobenen Lebensstilpräferenzen einem der folgenden Lebensstile zugewiesen: dem städtischen, gehobenen, handwerklichen, häuslichen, kulturellen oder christlichen Lebensstil mit einzelnen Variationen. Selbst ein indonesischer Lebensstil wurde entwickelt, da viele Niederländer in der ehemaligen Kolonie Indonesien lebten.
Großes kulturelles Angebot
Zwei solcher Häuser konnten wir besichtigen. Bei dem Rundgang fielen die reichhaltigen Möglichkeiten zur Kommunikation auf, da reichlich Sitzgelegenheiten vor den im Rund angeordneten Häusern und den parkähnlichen Anlagen zwischen den weiteren Gebäuden vorhanden sind. Außerdem gibt es derzeit 45 Möglichkeiten der Mitgliedschaft in Klubs, welche auch sehr unterschiedliche Aktivitäten ermöglichen. Wir besichtigten zum Beispiel einen Raum, wo Kreativarbeiten wie gemalte Aquarelle zu sehen waren, das Mozartzimmer, in welchem gerade Sozialarbeiter Bewohner zum Musizieren animierten und eine Ausleihe für Bücher und Musikträger, in denen geschulte Ehrenamtliche tätig sind. Im Supermarkt können Bewohner gegebenenfalls gemeinsam mit einem Sozialarbeiter für die Hausgemeinschaften einkaufen. Jede Gruppe hat ein eigenes Budget, über das sie verfügen kann und aus dem auch die gemeinsame Verpflegung bestritten wird.
Mein Fazit nach dem Rundgang: De Hogewyk bietet den Bewohnern ein beschütztes Leben in Erinnerung an eine ihnen bekannte und vertraute Umgebung. Es wird dabei sehr genau auf Menschenwürde, das Recht auf Selbstbestimmung und Teilhabe am Leben der Bewohner und Inklusion geachtet. Ich halte das Konzept, gerade im Hinblick auf die gebotene Lebensqualität der Bewohner, für sehr nachahmenswert. Natürlich bewegt mich aber auch die Frage: Ist ein solches Konzept auf Deutschland übertragbar? Eins zu Eins natürlich nicht. Dem stehen unterschiedliche Finanzierungskonzepte gegenüber. Derzeit erfolgt die Kostendeckung für den Aufenthalt in De Hogeweyk innerhalb der gesetzlichen Regelungen und Budgets der niederländischen Pflegefinanzierung. Ich habe aber die Hoffnung, dass in Deutschland bei Einführung der Pflegegrade anstelle der bisherigen Pflegestufen auch die Versorgung der Menschen mit dementiellen Erkrankungen unter Beachtung von Selbstbestimmung und Teilhabe eine weiterergehende Unterstützung – einschließlich Finanzierung – erfährt.
LOC Zeggenschap in zorg ist die größte niederländische Organisation für sogenannte Klientenräte im Pflege- und Gesundheitsbereich. Mehr als 1.300 als Mitglieder angeschlossene Klientenräte repräsentieren dabei etwa 500.000 Pflegebedürftige. Ziel der Organisation ist die Verbesserung der Mitbestimmung der Bewohner der Einrichtungen und die Sicherstellung ihrer Bedürfnisse.
Mehr Information über den Projektbesuch und die Arbeit von LOC finden Sie hier.
Wir danken der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) für diesen Beitrag. Erstveröffentlichung in den BAGSO-Nachrichten 2/2015.