In der Wohnanlage Sophienhof in Niederzier werden die Bewohner individuell nach dem "HoLDe-Konzept" versorgt. Der Begriff steht für Hospiz, Lebenswelt und Demenz und berücksichtigt neben der Biografie der alten Menschen auch deren aktuelle Lebensituation und körperlichen Bedürfnisse. Station24 sprach mit Geschäftsführerin Gerda Graf über Besonderheiten und Herausforderungen des speziellen Betreuungskonzepts.
Frau Graf, warum haben Sie "HoLDe" ins Leben gerufen?
Das HoLDe®-Konzept basiert mit seinem „Ho" auf der hospiziellen Arbeit, das „L" steht für Lebensfreude und - qualität und das „De" für Demenz. Ins Leben gerufen wurde dieses Konzept, weil der alte Mensch im Pflegeheim nicht nur lebt, sondern - wenn wir es gut gestalten - auch im Pflegeheim stirbt. Hier ist der hospizliche Ansatz ein Kernelement für„gutes Leben" und „gutes Sterben".
Dass sich die Organisation darüber hinaus mit dem Thema der individuellen Lebensqualität und -freude eines Bewohners beschäftigen muss, ergibt sich meines Erachtens schon aus dem Auftrag, den Pflegeheime mit dem Bewohnereinzug annehmen.
Mit dem „De" haben wir das Thema Demenz in den Fokus gerückt. Denn: Wenn über 60 Prozent der Bewohner an einer Demenz leiden, gilt es, der Erkrankung auch angemessen zu begegnen.
Was unterscheidet Ihr Palliativ- und Demenzkonzept von anderen?
Die Unterscheidung liegt zunächst im polylogen Ansatz des Hospizgedankens. Das heißt, die stabilisierenden Faktoren setzen sich aus palliativer Medizin, psychosozialer Begleitung, spiritueller Betreuung und palliativer Pflege zusammen.
Das Thema Lebensqualität wird durch eine Biographiearbeit erreicht, die nicht nur die Dokumentation füllt, sondern ein Lebensbuch beinhaltet. Dieses begleitet den Bewohner vom Einzug bis zum Ende. Auf Demenz gehen wir ebenfalls in besonderer Weise ein. So gibt es klare Regularien wie etwa die Ablehnung jeglicher Fixierung, die Ablehnung von festen Pflege- und Essenszeiten sowie die konsequente Einhaltung von Validation.
Welche Rolle übernehmen die Pflegekräfte in Ihrem Versorgungsmodell?
Grundsätzlich müssen Fachkompetenz und Haltung miteinander harmonieren. Das heißt ganz konkret: Auf 10 Bewohner kommen eine Palliative Care-Pflegefachkraft und eine ausgebildete Fachkraft in Validation.
Zusätzlich erwirbt jeder Mitarbeiter eine hospizliche Haltung in einem entsprechenden Grundkurs und in einem Basisseminar Validation einen besseren Umgang mit der gefühlten Wahrheit von Demenzerkrankten. So ist die Rolle der Pflegenden klar beschrieben.
Was sind die Aufgaben des Palliative Care-Personals?
Es kümmert sich im Besonderen um die Versorgungsstruktur am Lebensende und bezieht dabei vor allem Angehörige, Freunde und qualifizierte Palliativärzte sowie die dazu gehörenden Ehrenamtler ein.
Und für was sind die Fachkräfte für Validation genau verantwortlich?
Sie sorgen sich um den Fragekomplex „Alltag erleben" und „Erfahren dürfen des einzelnen Demenzerkrankten". Auch dies geschieht unter Einbeziehung der Angehörigen sowie fachärztlicher Visite. Neben der Haltung und fachkompetenten Orientierung übernehmen die Pflegekräfte auch die Koordination des zu knüpfenden Netzwerks für den Bewohner.
Wie profitiert der einzelne Patient?
Durch eine besondere Kultur der Visite, das heißt, einmal wöchentlich Hausarztbesuch, einmal monatlich Facharztbesuch, gegebenenfalls ein ethisches Konsil und eine hermeneutische Fallbesprechung.
Ein weiteres zentrales Element ist das für den Patienten erstellte Lebensbuch. Es beschreibt die Individualität des Bewohners so, dass der Alltag entsprechend seinen Wünschen gestaltet werden kann. Darüber hinaus wird durch die Erstellung einer Individuellen Notfallleitlinie sein Wunsch am Lebensende so berücksichtigt, dass alle Kooperationspartner Zugang zu den Bedürfnissen des Bewohners haben.
Seit wann arbeiten Sie mit dem HoLDe-Konzept?
Der Grundstein wurde 2007 gelegt, wobei das Konzept stetig verbessert wird. Denn jeder Bewohner fordert uns auf, Neues zu lernen. So wird auch der der Dienstleistungscharakter der Organisation Pflegeheim hervorgehoben.
Inwiefern basiert Ihr Konzept auf wissenschaftlichen Erkenntnissen?
Das Konzept selbst ist entstanden aus der Bedürfnislage des Bewohners beziehungsweise des Patienten. In der Weiterentwicklung haben wir an wissenschaftlichen Forschungsarbeiten teilgenommen - zum Beispiel an Projekten der Universität Witten-Herdecke, der Universität Bonn, des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands sowie der Universität Köln und des Bundesfamilienministeriums. Zum Konzept gibt es auch ein Buch: „Mahlzeit Demenz – Fürsorgekultur im hospizlichen Kontext".
Frau Graf, herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Johanna Kristen.