Im Baden-Württembergischen Friedrichshafen haben sich mehrere Pflegeeinrichtungen mit türkischen Verbänden unter Federführung des Diakonischen Instituts für Soziale Berufe zu einem Arbeitskreis zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen sie islamischen Pflegebedürftigen eine ihrer Religion angemessene pflegerische Versorgung ermöglichen. Im Herbst wird dazu eine Broschüre unter dem Titel „Pflege und Religion - Schwerpunkt ISLAM" erscheinen, danach sollen entsprechende Schulungen für Mitarbeiter beginnen.
Immer mehr Erwerbstätige und ihre Angehörigen aus dem türkisch-islamischen Kulturkreis oder Flüchtlinge aus diesem Kulturkreis kommen ins Rentenalter. Entgegen der ursprünglichen Absicht vieler, in Deutschland nur zu arbeiten und als Rentner wieder in die Heimat zurückzukehren, fühlen sie sich inzwischen fremd im eigenen Land und beschließen, ihren Lebensabend in Deutschland in der Nähe ihrer Kinder zu verbringen. Diese sind aber selbst berufstätig und leben oft nicht mehr am selben Ort wie ihre Eltern. Auf Pflegeheime kommt also eine wachsende Zahl von Menschen aus dem islamischen Kulturkreis zu. „Deshalb drängt sich mehr und mehr die Frage auf, wie diese Personen im Krankheits- und Pflegefall ihrer Religion entsprechend versorgt werden können und welche räumlichen wie auch personellen Voraussetzungen dafür gegeben sein sollten", sagt Doris Heldmaier, Schulleiterin des Diakonischen Instituts für Soziale Berufe in Friedrichshafen und Mitglied des Arbeitskreises „Interkulturelle Pflege".
Miteinander statt Nebeneinander
Mit dem Ziel, Pflegende für diese Fragen zu sensibilisieren, lud das Diakonische Institut für Soziale Berufe - Berufsfachschule für Altenpflege 2013 Vertreter des türkisch-islamischen Kulturkreises zu einem Heimleiter- und Pflegediensttreffen ein. Daraus entstand schließlich im April 2013 der Arbeitskreis „Interkulturelle Pflege" mit Schwerpunkt Islam. „Zu Beginn der Zusammenarbeit stand das gegenseitige Kennenlernen im Vordergrund. Zudem waren die Erwartungen zum Teil weit auseinander. Beiden Seiten mussten erst einmal lernen, Kompromisse einzugehen. Nur so kann das Ziel einer individuellen Versorgung, vor allem unter der Berücksichtigung des religiösen Hintergrunds erreicht werden", verdeutlicht Heldmaier. Unkenntnis sei schließlich gegenseitigem Verständnis und Vertrauen gewichen.
Auch wenn der Pflegebedarf derzeit vielleicht noch nicht so hoch sei – er werde in Zukunft sehr stark wachsen. „Und dann wollen wir vorbereitet sein", so die Schulleiterin. „Wir wollen keine Spezialeinrichtungen kreieren, sondern ein Miteinander statt eines Nebeneinanders ermöglichen."
Meisten Muslime nehmen ambulante Pflege in Anspruch
Im Rahmen mehrerer Arbeitssitzungen sind, in Anlehnung an die bekannten AEDL´s nach Krohwinkel, eine Broschüre und eine Checkliste für interkulturelle Pflege entstanden. Diese behandeln beispielsweise Fragen bezüglich der Körperpflege und des Prozederes der rituellen Waschungen ebenso wie Fragen zur Gabe von Medikamenten, Einrichtung des Zimmers, Sterbebegleitung oder der Versorgung eines Verstorbenen.
Beispielsweise gelte es auch zu beachten, dass Medikamente wie Insulin und medizinische Produkte keine Bestandteile vom Schwein beinhalten dürfen. Bart- und Körperrasur sei nur gleichgeschlechtlich erlaubt. „Gibt es Unklarheiten oder treten Konflikte auf, besteht immer die Möglichkeit, einen Imam hinzuzuziehen", verdeutlicht Heldmaier.
In erster Linie gehe es darum, Vertrauen in schon bestehende ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen zu schaffen. Denn die meisten Muslime nähmen vor allem ambulante Pflege in Anspruch. Zum einen sei es für viele schwer zu akzeptieren, dass sie dauerhafte Hilfe benötigen. Zum anderen bestünden Ängste, ihre Bedürfnisse würden nicht dem Koran entsprechend in stationären und ambulanten Einrichtungen berücksichtigt werden können.
Mitarbeiter mit Migrationshintergrund gesucht Um Berührungsängste zu nehmen, will das Netzwerk verstärkt Mitarbeiter mit islamischem Migrationshintergrund akquirieren, die nicht zuletzt in der Muttersprache mit den Bewohnern und Patienten kommunizieren können.
An der Arbeit dieses Arbeitskreises beteiligen sich Lehrkräfte des Diakonischen Instituts für Soziale Berufe, Vertreter des BruderhausDiakonie, der Evangelischen Heimstiftung, der Stadt Friedrichshafen, der Liebenauer Altenhilfe, sowie Vertreter der DITIB Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, des Friedrichshafener Integrations- und Bildungsverein sowie des türkischen Arbeitnehmervereins.
„Das ist eine Besonderheit. Langfristig ergeben sich dadurch sinnvolle Synergien für die Region, wie Pflege im Alter gelingen kann – egal welcher Nation oder Konfession man angehört", ist sich Heldmaier sicher.
Der Arbeitskreis will künftig Mitarbeiter von stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen schulen. „Wir rechnen mit ein bis zwei Nachmittagen pro Einrichtung", so Heldmaier. Um den Druck der zweisprachigen Broschüre und die Schulungen finanzieren zu können, bewirbt sich der Arbeitskreis im Rahmen des Innovationsprogramms Pflege 2016 um Landesförderung.
Die Broschüre kann ab Oktober bezogen werden über:
Diakonisches Institut für Soziale Berufe gGmbH Dornstadt
Gotthilf-Vöhringer-Schule
Berufsfachschule für Altenpflege und Altenpflegehilfe
Karlstraße 9
88045 Friedrichshafen
Tel.: 07541/399091-0