Das Zooviertel in Hannover gilt als eher wohlhabender Stadtteil: Viele Rechtsanwaltskanzleien, Werbeagenturen, schmucke Familienhäuser, der Stadtwald gleich in der Nähe. Von einem hektischen Treiben ist hier nichts zu spüren. In einer ruhigen Seitenstraße befindet sich das Rittelmeyer-Haus, ein anthroposophisches Altenpflegeheim mit 66 vollstationären Plätzen.
Von außen fallen die geschwungenen Fensterbögen des Hauses auf und der gepflegte Garten mit vielen Sitzmöglichkeiten. Hier treffen sich Menschen und unterhalten sich. Im Inneren des Hauses dominieren warme, helle Farben. Der Eingang ist mit frischen Blumen geschmückt. Gleich daneben gibt es ein kleines Café mit selbst gebackenem Kuchen, das jedem Besucher offensteht. Es herrscht angenehme Ruhe. Neben dem Café gibt es noch zwei Gruppenräume, in denen gesungen, gebastelt, vorgelesen, geredet und an verschiedenen Duftölen geschnuppert wird.
In einem dieser Gruppenräume sitzt Peter Riefenstahl mit seiner Männerrunde. Der 72-Jährige, der in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rittelmeyer-Haus wohnt, kommt einmal in der Woche, um mit den Männern spielerisch das Gedächtnis zu trainieren, Reaktionsübungen durchzuführen und über Hobbys, Partnerschaft und Beruf zu plaudern. „Männer tun sich schwer, über Gesundheit oder sich selbst zu sprechen", sagt Riefenstahl, dessen Frau Hannelore sich ebenfalls ehrenamtlich engagiert. Es macht ihm Freude, wenn er bei einigen Heimbewohnern die verschlossene Mimik ein wenig aufhellen kann.
Respektvoller Umgang
Ulrike Schmidt arbeitet seit einem halben Jahr als gelernte Pflegefachkraft im Friedrich- Rittelmeyer-Haus. Sie hat sich diesen Arbeitsplatz bewusst ausgesucht. Die 53-Jährige hatte vor ihrer Tätigkeit wenig Kenntnisse über anthroposophische Heime. Heute schätzt sie dort am meisten den respektvollen Umgang der Mitarbeiter untereinander und gegenüber den Bewohnern. „Während meiner Ausbildung brüllte die Pflegedienstleitung ihre Mitarbeiter an und die Bewohner saßen stundenlang allein vor dem Fernseher." Das gebe es im Rittelmeyer-Haus nicht. Die Bewohner würden nicht morgens nach Dienstplan geweckt, sondern man schaue, wer wach sei und beginne die Pflege zuerst bei dieser Person. „Natürlich haben wir auch Stress", sagt die 53-Jährige, „aber es ist schön zu erleben, dass der Ton weitgehend ruhig bleibt, die Bewohner bei einer Erkältung nicht sofort ein Medikament bekommen, sondern erst einmal heilende Tees sowie Wickel und Auflagen. „Das ist vielleicht zunächst etwas mühsamer, aber es intensiviert die Beziehung zu den Bewohnern und es erhöht die Arbeitszufriedenheit."
Jeder darf so sein, wie er ist
Arbeitszufriedenheit ist auch Thomas Kuhn wichtig, der 1985 seine Tätigkeit im Haus in der Altenpflege begann und heute für die Leitung verantwortlich ist. „Wir haben den gleichen Personalschlüssel wie andere Heime auch, aber in unserem Haus sind mehr als 30 qualifizierte Ehrenamtliche tätig, das kommt der Gemeinschaft zugute." Beispielsweise kommt einmal in der Woche nachmittags ein ehemaliger Professor der Musikhochschule, der in der vierten Etage den Demenzerkrankten auf seiner Flöte ein kleines Konzert gibt. Andere engagieren sich beim Malen, Singen, Vorlesen, bei der Gartenarbeit oder in der Einzelbetreuung. Es gibt eine enge Bindung zur Christengemeinschaft, deren Gebäude in unmittelbarer Nähe angrenzt sowie eine enge Zusammenarbeit mit der Alzheimer Gesellschaft, die häufig Ehrenamtliche vermittelt. „Es ist wichtig, sich zu vernetzen, daraus ergeben sich Impulse."
Rund 45 der 66 Bewohner haben eine eingeschränkte Alterskompetenz. Sie sollen nicht nur gepflegt werden, sondern ihre Alltagsfähigkeit wird soweit wie möglich erhalten und gefördert. Dazu gehört die sogenannte Gartenarbeit auf der Dachterrasse. Blumen werden gemeinsam eingekauft, die Bewohner riechen den Duft und binden anschließend die Sträuße. Pflanzen werden umgetopft und neu eingepflanzt. Andere Bewohner helfen beim Tisch decken, Fegen und Geschirr abräumen. „Es macht alle zufriedener, wenn die Bewohner in die Gemeinschaft eingebunden werden." Zur Gemeinschaft gehören regelmäßige Angebote: therapeutisches Malen, Singen, jahreszeitliche Bastelarbeiten, Sitztanz, Lyrikkreis, Ballspiele, Diavorträge und Vorlesestunden.
Vernissage mit geladenen Gästen
„Bei uns darf jeder so sein, wie er ist", sagt Nikola Brauch, die seit sieben Jahren als gelernte Pflegefachkraft im Rittelmeyer-Haus arbeitet. Wenn ein Bewohner nicht singen oder malen will, muss er das nicht. „Wir versuchen, das Individuelle herauszuarbeiten", sagt die 48-Jährige. Neulich haben Alltagsbegleiter eine Ausstellung im Rittelmeyer-Haus für eine Dame organisiert, die in ihrem Berufsleben Illustrationen für Kinderbücher gezeichnet hatte. Es gab für die Bewohnerin, die wegen ihrer demenzieller Erkrankung kaum noch sprechen kann, eine richtige Vernissage mit geladenen Gästen. „Wir wollen die Menschen, die hier leben, würdigen und nicht so sehr ihre Defizite in den Mittelpunkt stellen", sagt Nikola Brauch. Diese Haltung wirke sich auf alle aus.
Die 48-Jährige leitet einmal in der Woche vormittags einen Singkreis. Sie musiziert mit den Bewohnern jahreszeitliche Volkslieder und liest zwischendrin Gedichte vor. Das Singen ist ein wichtiges Element für die Bewohner: Einige dösen weg, etliche klopfen mit den Fingern den Takt zur Musik und andere erfreuen sich an den Bildern, die die Liedtexte illustrieren. „Es ist wichtig, dass es nicht nur den Bewohnern gut geht, sondern auch den Pflegekräften", ist Brauch überzeugt.
Zweimal im Jahr gibt es für die Pflegekräfte einen Selbstpflegetag: „Wir machen Entspannungsübungen, Eisblättermassagen, Fußeinreibungen und gymnastische Übungen." Im nächsten Jahr solle es noch einen Teamtag geben. „Es gibt viele stressige Situationen, in denen es wichtig ist, dass wir miteinander gut umgehen", sagt die 48-Jährige. Die Heimbewohner seien nicht nur lieb und nett, einige wären auch nörgelig und würden ständig klingeln." Da sei es wichtig, sich gut abzusprechen und gemeinsam Ideen zu entwickeln, wie der Arbeitsalltag spannungsfreier verlaufen könne und wie es gelinge, regelmäßige Pausen einzuhalten. „Nur wer sich gut um sich selber kümmert, kann sich auch gut um andere kümmern." Davon ist Brauch überzeugt.