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Tagesrhythmus in Pflegeheimen

Dem Lauf des Lichts folgen

Tageslicht steuert unser Sehen, unsere innere Uhr und unsere Emotionen. Was bedeutet das aber für Pflegeheimbewohner, die das Haus kaum verlassen können? Im Ludwigstift in Stuttgart-West wurde vor einem Jahr circadianes Licht installiert, das dem Vorbild des Tageslichts folgt.

„Wir werden immer gefragt, wie spät es denn ist", berichtet Amira Kurtalic, die als Altenpflegerin in der Domus-Wohngruppe für schwerst an Demenz erkrankte Menschen im Ludwigstift, einer Einrichtung des Wohlfahrtswerks für Baden-Württemberg in Stuttgart, arbeitet. Ein Grund dafür: Personen, die sich überwiegend in Innenräumen aufhalten, erleben den Tageslauf des natürlichen Lichts eher indirekt. Durch die Beleuchtung der Flure rund um die Uhr wird der Wechsel zwischen Tag und Nacht, zwischen Wachen und Schlafen, weniger spürbar. Dieser Rhythmus, der so genannte „circadiane Rhythmus" jedes Menschen beträgt ungefähr 24 Stunden – so erklärt sich auch der Name: „circadian" könnte man mit „dem Tageslauf folgend" übersetzen. Der Taktgeber dieser inneren Uhr ist das Tageslicht. Rezeptoren im Auge nehmen die Blau- und Rotanteile des Lichts wahr, die unseren Rhythmus beeinflussen.

Licht bestimmt die innere Uhr
Wer kennt sie nicht: die nachlassende Leistungsfähigkeit am Abend? Verantwortlich für die Müdigkeit ist das „Schlafhormon" Melatonin, das der Körper bei zunehmender Dunkelheit produziert. Das abnehmende Licht hat nun einen hohen Rotanteil. Das Morgenlicht hingegen strahlt mit erhöhtem Blauanteil und steigert die Produktion des „Stresshormons" Cortisol, zugleich sinkt der Melatoninspiegel. Cortisol sorgt dafür, dass Menschen aktiv und leistungsfähig sind. Nicht umsonst heißt es, dass Licht glücklich macht: Es unterstützt den Körper dabei, den Stimmungsaufheller Serotonin zu bilden, der im Laufe des Tages für mehrere Leistungshochs sorgt.

Mangel an Licht
Natürlich fällt auch in geschlossene Räume Tageslicht ein und eine künstliche Beleuch-tung sorgt für Helligkeit. Doch ist vom Ta-geslicht in der Mitte von großen Räumen nicht mehr viel zu spüren und Beleuchtungen verfügen häufig nur über einen geringen Blauanteil und niedrige Beleuchtungsstärken. „Dabei brauchen gerade ältere Menschen besonders starkes Licht, da sich die Linse im Alter eintrübt", betont Ekkehard Ahrens vom Wohlfahrtswerk, der das Projekt begleitet. Dieser Mangel an Tageslicht hat oft zur Folge, dass die Senioren tagsüber müde, in der Nacht hingegen unruhig sind. Der circadiane Rhythmus gerät aus dem Gleichgewicht. Die Begleitsymptome einer Demenz können so ungünstig beeinflusst werden.

„In der Vergangenheit hatten viele Bewohner einen starken Bewegungsdrang, nun sind sie ausgeglichener und sitzen tagsüber häufiger entspannt im Aufenthaltsbereich", hat Klaus Dengel beobachtet, der als Haustechniker im Ludwigstift für die Beleuchtung zuständig ist. Dort wird seit einem Jahr biologisch wirksames „circadianes" Licht von der Firma Waldmann im Aufenthaltsbereich und im Flur der Domus-Wohngruppe eingesetzt. Auch in der neuen Einrichtung des Wohlfahrtswerks, dem Wohn- und Pflegezentrum Flugfeld in Böblingen, und im Neubau des Jakob-Sigle-Heims in Kornwestheim wird das circadiane Licht installiert werden.

Dem Lauf des Lichts folgen
Das Besondere am circadianen Licht: Es ahmt das Tageslicht nach. Ab sechs Uhr aktiviert tageslichtweißes Licht mit hohem Blauanteil die Bewohner. Bis neun Uhr nimmt der Blauanteil zu. Zwischen neun und 17 Uhr ist die Beleuchtungsstärke (gemessen in Lux) am höchsten und die Lichtfarbe (gemessen in Kelvin) entspricht in dieser Phase dem hellen Tageslicht. Ab 17 Uhr strahlt die Beleuchtung wieder rötlicher und wärmer, bis sie von 20:30 Uhr an mit reduzierter Beleuchtungsstärke durch die Nacht begleitet. Das Licht kann aber auch individuell eingestellt werden: So sorgt rötlich-warme Beleuchtung bei Feiern für eine besondere Stimmung und im Sommer ist es möglich, die Stärke herunterzufahren. Das circadiane Licht kann auf Grund seiner Beleuchtungsstärke von Menschen, die noch gut sehen, zunächst als ungewohnt hell empfunden werden. Nach einer kurzen Zeit der Eingewöhnung wird die Beleuchtung selbst jedoch gar nicht mehr wahrgenommen, nur noch die angenehme Atmosphäre.

Aktiverer Tag, ruhigere Nacht
Erste Studien belegen, dass sich circadianes Licht positiv auf das Leben von Bewohnern im Pflegeheim auswirkt: Sie kommunizieren mehr, sind ausgeglichener und aktiver. Außerdem fühlen sie sich durch das Licht sicherer und es kommt seltener zu Stürzen. Da die Senioren am Tag aktiver sind und am Abend das richtige Licht um sich haben, schlafen sie nachts besser. Und wer gut schläft, ist wiederum am Tag positiv gestimmt und fit. Auch bei Demenzkranken, die oft unter einer Tag-Nacht-Umkehr leiden, lassen sich Verbesserungen feststellen: Unruhiges und aggressives Verhalten nimmt ab.

Diese Erkenntnisse kann auch Amira Kurtalic bestätigen: „Man merkt, dass unsere Bewohner sich an dem Licht orientieren und wieder ein besseres Gefühl für die Zeit und für Tag und Nacht haben. Sie sind tagsüber aktiver und ziehen sich nachts eher zurück, wenn die Beleuchtung im Nachtmodus ist."  


Info
Lux ist die Einheit der Beleuchtungsstärke. Sie gibt an, welcher Lichtstrom (gemessen in Lumen) auf eine Flächeneinheit (gemessen in Quadratmetern) fällt. Die Beläuchtungsstärke für ältere Menschen sollte gemäß der VDI-Richtlinie "Barrierefreie Lebensräume" mindestens 500 Lux betragen, zum Basteln oder Lesen sogar 1.000 Lux - das ist gut viermal so viel wie bei einem Zwanzigjährigen. Zum Vergleich: Wer sich draußen bewegt, erhält an einem wolkenlosen Sommertag 100.000 Lux, an einem trüben Wintertag immer noch zwischen 2.000 und 3.000 Lux. (Vgl. carolina Heske et al.: Visual Timing Light - Biodynamische Beleuchtung in der Seniorenpflege).



Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine Zweitveröffentlichung aus dem Magazin „Weitwinkel" des Wohlfahrtwerks für Baden-Württemberg.


         

 

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