Beobachtet man den Pflegeberuf in der Fachpresse der letzten Jahre, so lässt sich ein Wandel in den Reihen der Pflegenden beobachten. Es ist ein Bestreben nach einer deutlicheren Abgrenzung von anderen Heilberufen sichtbar, mit dem Ziel, den Berufsstand der Pflege als unabhängige Profession zu definieren. Die Pflege hat begonnen, sich zu emanzipieren. Die Kluft zwischen Wissenschaft und der pflegerischen Praxis stellt jedoch einen gravierenden Widerspruch dar, der eine Professionalisierung der Pflege erheblich beeinträchtigt. Diese Arbeit wird der Frage nachgehen, worin das Festhalten an Pflegeritualen in der Praxis und der Sinn oder Unsinn dieses rituellen Vorgehens begründet sein könnte.
Die Pflege im Wandel
Das Bild des reinen Assistenzberufs und der aufopfernden Pflege hat sich bis heute hartnäckig gehalten. Pflege war und ist im geschichtlichen Kontext über lange Zeit als tradierter helfender Frauenberuf konstituiert (Walsh und Ford 2000). Mit dem Beginn der Pflegeforschung in den letzten Jahrzehnten scheint sich die Pflege in Richtung einer eigenständigen Profession zu verändern. Sie wandelt sich von einem Handwerk zu einem wissenschaftlich fundierten Berufsstand. Wo früher tradiertes Wissen in Kombination mit dem Erlernen von praktischen Fertigkeiten und der Lehre von verkürztem medizinischem Wissen die Basis der Pflege darstellte, treten nun immer mehr pflegewissenschaftliche Erkenntnisse in den Vordergrund. Dies ist ein Umstand, der insbesondere in der aktuellen Krankenpflegeausbildung zum Tragen kommt, wo wissenschaftliches Arbeiten zunehmend an Bedeutung gewinnt und Teil der Lehre ist.
In der Praxis scheint dieser Weg allerdings nur sehr langsam voranzugehen. Es ist zu beobachten, dass trotz aller Bemühungen der Forschung, neues Wissen als graue Theorie bestehen bleibt und die Praxis weiter an alt hergebrachten Vorgehensweisen festhält. Der Transfer von Theorie zur Praxis geht nur schleppend voran und Pflege wird häufig immer noch ritualisiert und unreflektiert weitergeführt, ohne dabei neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder individuelle Belange der Pflegebedürftigen zu berücksichtigen.
Diejenigen, die dieses Vorgehen kritisch hinterfragen und versuchen neue Erkenntnisse in die Praxis zu transportieren, werden oft nur als Störenfriede und Theoretiker im Pflegeteam wahrgenommen. Die Akademisierung der Pflege wird von den Arztberufen, aber auch in den eigenen Reihen häufig höchst skeptisch betrachtet.
Pflegerituale: Sinn oder Unsinn?
Die folgenden Kapitel werden die Frage klären, was unter dem Begriff „Pflegeritual" zu verstehen ist und wie sich dies auf die pflegerische Praxis auswirken kann. Hierzu wird zunächst der Begriff des „Pflegerituals" erläutert und ein Beispiel aus der pflegerischen Praxis angeführt. Daraufhin wird erörtert, worauf Pflegerituale begründet sind und worin der Widerspruch zu einer professionellen Pflege liegen könnte.
Was sind Pflegrituale?
Mit Pflegeritualen sind explizit nicht die individuell auf den Pflegebedürftigen abgestimmten Rituale gemeint, die z.B. in der Pflege Demenzkranker oder neurologisch beeinträchtigter Patienten enorm wichtig sind. Das Gegenteil ist gemeint. Der Begriff des Rituals ist an dieser Stelle vermutlich etwas verwirrend. Gemeint sind tradierte und oft unsinnige Handlungen oder Abläufe, die sich einer Grundlage aus Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen entziehen. Die Worte Pflegeroutinen, Stereotypien oder Methodismen treffen den Punkt wohl etwas genauer. Pflegerituale sind nicht auf das Individuum des Pflegebedürftigen abgestimmt, sondern verhindern zum Teil sogar angemessene und menschenorientierte Lösungen und entbehren einer emotionalen Beteiligung durch die Pflegenden (Walsh und Ford 2000). Der Pflegealltag wird durch viele Handlungen geprägt, die einer näheren Betrachtung kaum standhalten, da sie nicht auf Fakten sondern auf tradiertem Wissen beruhen. Handlungen, die durchgeführt werden, weil es immer schon so war, ohne dabei faktisch belegbar zu sein oder auf die vorliegende Situation angepasst zu werden, sind grundsätzlich ritualverdächtig (Walsh und Ford 2000).
Ein weiteres Merkmal von Pflegeritualen ist die Generalisierung. Es wird nicht zwischen den einzelnen hilfebedürftigen Individuen unterschieden. Alle Patienten sind den gleichen Handlungen unterworfen (Diercks 1998). Dass dies einer patientenorientierten Pflege nicht gerecht werden kann, steht außer Zweifel. Diese Verallgemeinerung ist vermutlich auch der Grund für die ursprüngliche Begriffswahl des Pflegerituals.
Das soll nicht heißen, dass alle routinierten Abläufe grundsätzlich falsch sind. Sie sollten jedoch regelmäßig hinterfragt werden und im Hinblick auf fragwürdige nicht sinnvolle Anteile geprüft werden (Walsh und Ford 2000).
Um den Begriff des Pflegerituals noch etwas deutlicher werden zu lassen, wird im Folgenden kurz ein Beispiel aus dem pflegerischen Alltag dargestellt und rituelle Handlungen näher erläutert.
Ein Beispiel
Der Tagesablauf einer Schicht in der Pflege ist auch heute noch voll von ritualisierten bzw. routinierten Handlungsabläufen. Natürlich sind davon nicht alle Mitarbeiter in gleichem Maße betroffen. Die kritische Reflektion des eigenen Handelns ist bei einigen Pflegenden längst fester Bestandteil des Arbeitsalltags. Dennoch finden sich Abläufe wieder, die nach wie vor von einer großen Zahl der Pflegenden unreflektiert jeden Tag aufs Neue praktiziert werden. Es soll hier nicht darum gehen die Arbeit einiger Pflegekräfte zu kritisieren, vielmehr soll hiermit zum kritischen Überdenken der eigenen Arbeitsweise angeregt werden und aufgezeigt werden wie jeder Einzelne die persönlichen Abläufe optimieren kann.
Ganzkörperwäsche und Bettwäschewechsel
Im Verlauf der Frühschicht werden alle bettlägerigen Patienten einer Station im Krankenhaus gewaschen. Persönliche Bedürfnisse oder Tagesabläufe der Patienten werden dabei nur sehr selten berücksichtigt, da bei der Vielzahl zu pflegender Patienten die Zeit für eine individuelle Gestaltung der Pflege fehlt. Nur in Ausnahmefällen wird diese Maßnahme in nachfolgende Schichten abgegeben. Dies erfolgt dann aber nicht auf Grund der Gewohnheiten des Patienten, sondern aus Zeitgründen und stößt dabei nicht selten auf Ablehnung seitens der nachfolgenden Schichten. Warum ist dies so? Eine patientenorientierte Pflege würde die persönliche Anamnese des Patienten und dessen Gewohnheiten berücksichtigen. Ist wirklich täglich eine Ganzkörperwäsche bei jedem notwendig und muss diese immer morgens erfolgen?
Es wäre an dieser Stelle sinnvoll, wache Patienten in die Tagesplanung mit einzubeziehen und sie als mündige Menschen zu begreifen, die selbst entscheiden können, ob und wie intensiv sie sich waschen möchten. Die Waschung dient derzeit meist lediglich der Körperreinigung und der Inspektion und erfüllt eher die Bedürfnisse des Pflegenden als die des Patienten. Eine Abwägung der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahmen findet kaum statt (Walsh und Ford 2000). Therapeutische Konzepte wie eine Ganzkörperwaschung nach Bobath oder gemäß der basalen Stimulation kommen nur in Ausnahmen zur Anwendung, obwohl diese z.B. bei neurologisch beeinträchtigten Patienten oft sinnvoller währen als das ledigliche reinigen der Pflegebedürftigen.
Nach Walsh und Ford wäre es ein guter Ansatz zunächst zu überdenken, ob der Patient eine Ganzkörperwäsche wirklich braucht oder wünscht und die Prozedur entsprechend angemessen zu gestalten. Der Patient sollte als mündiges Individuum angenommen werden und nicht nur als passiver Leistungsempfänger (Walsh und Ford 2000).
Im Anschluss an die Ganzkörperwäsche erfolgt täglich ein Wechsel der Bettlaken und teils auch der übrigen Bettwäsche. Das Schwitzen der Patienten und das Wohlbefinden derselben ist ein häufig gebrauchtes Argument zur Rechtfertigung dieser Maßnahme. Bei genauer Betrachtung sind die Laken aber oft noch sauber und trocken, so dass ein Wäschewechsel eigentlich überflüssig wäre. Abgesehen davon könnten allein am täglichen Bettwäschewechsel Zeit und Geld gespart werden. Ein Beispiel: Ein Wechsel der Laken bei einem bettlägerigen Patienten der Intensivstation dauert je nach Zustand des Patienten etwa 5-10 Minuten. Auf einer Station mit 13 Betten werden also etwa 65-130 Minuten alleine auf den Wechsel der Bettwäsche verwendet. Häufig folgen dann noch tatsächlich notwendige Bettwäschewechsel im weiteren Tagesverlauf, weil die Patienten z. B. abführen oder Eingriffe durchgeführt werden.
Die aufgewendete Zeit zum Herrichten der Betten sind Pflegeminuten, die an anderer Stelle wie z.B. zur Mobilisation einiger Patienten sicher besser angelegt wären. Kaum eine Pflegekraft würde im privaten Umfeld täglich die vollständige Wäsche wechseln. Welchen Grund sollte es geben dies im Krankenhaus anders zu handhaben (Walsh und Ford 2000).
Bei genauer Betrachtung des eigenen Pflegealltags werden noch eine Vielzahl weiterer Pflegerituale deutlich. Sie erstrecken sich über alle Ebenen des pflegerischen Handlungsspektrums vom organisatorischen Bereich der Führungsebene bis hin zu einzelnen Verrichtungen am Patienten.
Ich weise darauf hin, dass das genannte Beispiel meine persönliche Wahrnehmung wiedergibt und keine Allgemeingültigkeit beansprucht. Sollten es Grundlage zur Diskussion geben würde dies schon einem ersten Schritt in Richtung der Reflektion des pflegerischen Arbeitsalltags entsprechen und wäre meiner Ansicht nach als sehr positiv zu werten.
In den nachfolgenden Abschnitten dieser Arbeit wird erörtert werden worauf solche Rituale beruhen und inwiefern Pflegerituale zu einer professionellen Pflege im Widerspruch stehen.
Worauf sind Pflegerituale begründet?
Nach Simon werden Handlungen oder Abläufe dann zur Routine oder zum Ritual, wenn diese sich in irgendeiner Weise bewährt haben oder in keine Krise gerieten, indem sie z.B. in Frage gestellt wurden (Simon 2007). Diese Ansicht als alleiniger Standpunkt betrachtet, lässt Pflegeroutinen als eher positiv erscheinen. Dies trifft sicher auch auf viele Routinen des pflegerischen Alltags zu. Die Tatsache, dass sich Handlungsabläufe in der Vergangenheit bewährt haben, heißt aber nicht gleichzeitig, dass diese noch immer angemessen sind. Es gibt neue Erkenntnisse und Gegebenheiten, die alte Routinen als fragwürdig erscheinen lassen. Warum dieses Infrage stellen noch selten geschieht, wird in den folgenden Abschnitten vielleicht etwas deutlicher.
Die Grundlage pflegerischer Routinen und Rituale ist sehr komplex. Als erstes ist hier die mangelnde wissenschaftliche Bearbeitung des Themas Pflege zu nennen. Bis zum heutigen Tage verfügt pflegerisches Handeln nur über wenige gesicherte pflegewissenschaftliche Erkenntnisse. Die Pflegewissenschaft ist noch vergleichsweise jung. Stattdessen wurde über lange Zeit das immer gleiche Lehrbuchwissen geschult. Oft ist der Ursprung dieses Wissens nicht mehr nachvollziehbar. Auf der anderen Seite bediente sich die Pflege der Erkenntnisse anderer Wissenschaften wie der Medizin, Psychologie, Pharmakologie usw. (Walsh und Ford 2000). Das heißt, es gibt nur einen vergleichsweise geringen eigenen Wissensbestand, der hinreichend überprüft wurde. Auf Grund der Tatsache, dass die Pflegewissenschaft selbst sehr jung ist, gab es bisher nur wenig Möglichkeit sich auf entsprechend fundiertes Wissen zu berufen.
Ein Umstand, der sich mittlerweile ändert, aber noch keinen ausreichenden Zugang in die Praxis gefunden hat. Dies liegt unter anderem in dem noch immer geringen fachlichen Diskurs. Auch die Lesekultur im Bezug auf Fachliteratur ist noch nicht ausreichend. Kühne- Ponesch und Mayer führen dazu eine Studie an, aus der hervorgeht, dass nur ein Bruchteil der Pflegenden tatsächlich Fachliteratur liest. Auch die Nutzung entsprechender Datenbanken sei häufig noch unbekannt (Kühne-Ponesch und Mayer o.J.). Noch handelt es sich um einige Wenige, die regelmäßig Fachliteratur lesen und sich auf dem aktuellen Stand halten. Deren Wissenstand ist an die Person gebunden und verschwindet, wenn diese Person das Pflegeteam verlässt (Abt-Zegelin o.J.).
Eines der Hauptargumente der Pflegenden ist der Faktor Zeit, der insbesondere im derzeitigen Mangel von Fachkräften, z.B. auf den Intensivstationen, eine häufig verwendete und sicher zum Teil auch gerechtfertigte Entschuldigung darstellt. Laut Aussage vieler Pflegender spart routinemäßiges Arbeiten Zeit und erleichtert die Arbeit, da man selbst keine Problemlösungsstrategien erarbeiten muss und Routinetätigkeiten leichter von der Hand gehen (Walsh und Ford 2000). Bei genauer Betrachtung lässt sich dieser Standpunkt aber nur bedingt halten. Gerade Pflegerituale kosten die Pflegenden viel Zeit, die an anderer Stelle fehlt.
Dies wird unter anderem an den beschrieben Beispielen des Bettens oder dem morgendlichen Waschritual deutlich. Hier wird für alle Patienten dieselbe Zeit aufgewendet, obwohl die Maßnahmen nicht bei jedem in gleichem Maße erforderlich wären. Eine Verteilung über den Tag würde zudem die Arbeitsbelastung einzelner Schichten deutlich entlasten. Dennoch ist ein Großteil der Pflegenden bemüht, möglichst alle Verrichtungen in der morgendlichen Frühschicht abzuarbeiten. Dies führt zu einer hohen Arbeitsbelastung der Frühschicht, wohingegen die Spätschicht weniger zu tun hat. Durch den straffen Zeitplan in der Frühschicht bleibt für eine individuelle patientenorientierte Pflege keine Zeit (Walsh und Ford 2000).
Ein weiterer Faktor zur Ritualisierung der Pflege ist die Institution der Klinik an sich. Die Institutionen geben Rahmenbedingungen vor, an die Pflegende gebunden sind. Qualitätskontrollen beziehen sich nur selten auf die Qualität der Pflege, sondern konzentrieren sich vorwiegend auf die Umsetzung organisatorischer Vorgaben der Institution. Eine Evaluation der Pflege durch den Kunden ist nur sporadisch etabliert. Eine Qualitätskontrolle durch den Kunden wäre aber eine gute Möglichkeit, die Pflege im Bezug auf die tatsächliche Patientenorientierung und Qualität der Pflegeleistungen aus Sicht der Leistungsempfänger zu evaluieren (Walsh und Ford 2000).
Außerdem unterliegt das pflegerische Handeln festen zeitlichen Vorgaben, die einen reibungslosen Ablauf gewährleisten sollen. Dies führt zu einer Fixation auf körperliches Leiden der Patienten und lässt keinen Spielraum für zwischenmenschliche Konfliktbearbeitung (Kühne -Ponesch und Mayer o.J.).
Ein positiver Aspekt ritueller routinierter Handlungsabläufe ist der Sicherheitsaspekt. Handlungen, die nach einem festen Schema erfolgen und immer wieder wiederholt werden, erfolgen sicherer und gehen leichter von der Hand. Ein Aspekt auf dem Standards u.a. begründet sind. Allerdings sind diese Handlungsabläufe regelmäßig auf ihre Aktualität hin zu prüfen und den neuesten Erkenntnissen der Pflegewissenschaft anzupassen (Kühne -Ponesch und Mayer o.J.). Der unkritische Umgang mit Pflegeroutinen dient auch der sozialen Integrität in ein Pflegeteam. Ein Infrage stellen der Routinen wird mit dem Infrage stellen anderer Teammitglieder gleichgesetzt (Kühne-Ponesch und Mayer o.J.).
Weitere Quellen ritualisierten Vorgehens sind Intuition, Erfahrung und „Versuch und Irrtum". Viele pflegerische Handlungsabläufe entstanden aus diesen Quellen heraus. Das heißt nicht, dass diese Abläufe grundsätzlich falsch sind. Nach Dreyfus und Dreyfus ist Intuition und Erfahrung in Kombination mit theoretischem Hintergrund sogar unabdingbar für die Pflegepraxis. Kompetent Pflegende passen Handlungsabläufe und Pflegepläne jedoch an die vorliegende Situation an und wenden diese nicht generalisiert auf alle Patienten an (Dreyfus und Dreyfus 2000).
Mit dem Einzug der Wissenschaft in die Pflege werden in der Praxis immer öfter auch die Aussagen von Experten genannt. Oft wird dieses „Expertenwissen" nicht hinterfragt und kritiklos übernommen. Auch hierin verbirgt sich das Potential zur Ritualisierung (Balon o.J.).
Worin liegt der Widerspruch zur Professionalisierung der Pflege?
Die Frage nach dem Widerspruch zur Professionalisierung der Pflege ist abhängig davon wie professionelle Pflege definiert wird.
Walsh und Ford gehen davon aus, dass Menschlichkeit, therapeutisches Bemühen, Demokratie und Wagemut in der Pflege im Vordergrund stehen. Darüber hinaus werden Grundrechte wie Freiheit und der freie Wille der Patienten anerkannt. Eine adäquate Aufklärung der Patienten ist ein wesentlicher Bestandteil der pflegerischen Betreuung. Außerdem wird der Patient in die Planung mit einbezogen, damit dieser als aktiv Beteiligter am Behandlungsprozess teilnehmen kann.
Desweiteren beschreiben Walsh und Ford, dass die Pflege eine wesentliche Rolle in der Rehabilitation der Patienten hat, schon während diese sich in der stationären Behandlung befinden.
Die pflegerischen Handlungen begründen sich auf Fakten und entsprechen dem klaren Menschenverstand. Die professionelle Pflege hinterfragt das eigene Tun und untermauert das aus Jahrzehnten entstandene Erfahrungswissen mit aktuellen Erkenntnissen aus der Wissenschaft (Walsh und Ford 2000).
Für Walsh und Ford steht also der mündige Patient als Individuum, sowie ein auf den einzelnen Patienten abgestimmtes therapeutisches Bemühen, im Vordergrund. Die pflegerischen Handlungen im Einzelnen basieren auf einer theoretischen Grundlage, die dem aktuellen Erkenntnisstand entspricht. Wird dieses Bild einer professionellen Pflege verfolgt, wird schnell deutlich, warum ein ritualisiertes Vorgehen im Widerspruch zu einer Professionalisierung der Pflege steht.
Pflegerituale werden verallgemeinernd angewendet, das heißt, sie lassen keine Individualität zu. Dies bringt mit sich, dass die Mündigkeit der Patienten untergraben bzw. missachtet wird. Die Pflege, die sich rein auf ein routinemäßiges Vorgehen bei allen Patienten stützt vertritt eher persönliche Interessen als das Interesse einer patienten- und ressourcenorientierten, situationsentsprechenden Pflege. Sie stellt sich selbst autoritär über den Patienten, in der Erwartung, dass dieser sich den Gegebenheiten des Klinikalltags unterordnet. Dies wird einem Kundengedanken kaum gerecht. Desweiteren impliziert ein unreflektiertes Vorgehen, dass ein Fortschritt bzw. eine Weiterentwicklung des Kenntnisstandes nicht möglich ist.
Voraussetzung für eine Weiterentwicklung der Pflege ist es, diese regelmäßig zu reflektieren und dem aktuellen fachlichen Kenntnisstand anzupassen. Nur eine kritische Auseinandersetzung mit dem pflegerischen Handeln selbst kann diesen Fortschritt bewirken.
Dies findet sich auch in den von Dreyfus und Dreyfus (2000) beschriebenen Kompetenzstufen wieder. Die Autoren beschreiben in den Kompetenzstufen die Entwicklung, die eine Pflegekraft innerhalb ihrer beruflichen Laufbahn vom Anfänger zum Experten durchlaufen kann. Kennzeichnend dabei ist, dass der Anfänger sich noch stark an festen Regeln orientiert und noch nicht über einen Gesamtüberblick verfügt. Mit der Entwicklung über die Kompetenzstufen kommen immer mehr Fähigkeiten hinzu, die es dem Pflegenden ermöglichen die auftretenden Situationen besser zu überblicken und aus einem größeren Wissensspektrum heraus zu agieren ohne sich dabei an fixe Regeln halten zu müssen oder lange darüber nachzudenken (Dreyfus und Dreyfus 2000) .
Werden diese Kompetenzstufen mit der Problematik der Pflegerituale verglichen, wird deutlich, inwiefern ritualisiertes bzw. unreflektiertes Vorgehen die fachliche Weiterentwicklung der Pflege behindert.
Kennzeichnend für ritualisierte Pflege ist ein unreflektiertes verallgemeinerndes Vorgehen oder das Fehlen theoretischer Grundlagen. Den Pflegenden, die dieses Vorgehen praktizieren, wird es schwerfallen alle Kriterien der Stufe des kompetent Pflegenden zu erfüllen und sich darüber hinaus noch weiterzuentwickeln. Diese und alle weiterführenden Stufen setzen eine situationsabhängige Vorgehensweise voraus. Die Abläufe müssten aus einem Repertoire ausgewählt und situationsentsprechend und individuell angepasst an die Situation und die zu erreichenden Ziele angewendet werden (Dreyfus und Dreyfus 2000). Pflegerituale bewirken genau das Gegenteil. Um die Stufe des Experten zu erreichen, ist es zudem notwendig zu einer vielseitigen Betrachtung einer Situation in der Lage zu sein (Dreyfus und Dreyfus 2000).
Das Befolgen starrer Vorgaben und Handlungsketten steht hierzu im Widerspruch. Auch die fehlende Reflektion, die typisch für ritualisiertes Vorgehen ist, behindert die Weiterentwicklung der Kompetenz einer Pflegekraft. Dreyfus und Dreyfus betonen zudem die Notwendigkeit einer theoretischen Grundlage um überhaupt eine faktische Grundlage für das praktische Tun der Pflegenden zu haben, auf die sie sich berufen können und auf deren Basis eine Weiterentwicklung gründen kann (Dreyfus und Dreyfus 2000). Pflegeritualen fehlt dies häufig.
Unabhängig davon schildern sie, dass es ohne eine Verständigung über eine gute Praxis keine relevante Diskussion im theoretischen Bereich geben würde und es somit kaum eine weitere Entwicklung der Berufsgruppe geben könne (Dreyfus und Dreyfus 2000).
Fazit
Je intensiver man sich mit Pflegeritualen beschäftigt, desto mehr wird einem bewusst wie viel Handlungsbedarf noch in der professionellen Pflegepraxis besteht. Gerade in personell knapp bemessenen Pflegeteams ist es wichtig, rituelle Handlungen zu identifizieren und auf ihren Sinn hin zu überprüfen, da es gerade diese verallgemeinernden Routinen sind, die einer wirklich guten patienten- und ressourcenorientierten Pflege die Zeit nehmen. Um trotz Personalnot eine gute Qualität in der Pflege zu erhalten, ist eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik meiner Ansicht nach unausweichlich.
Auch im Sinne der Professionalisierung und Weiterentwicklung des Berufsbildes der Pflege ist ein selbstkritischer Denkansatz der Grundstein zur Veränderung des Berufstandes zu einer anerkannten Profession. Hier sind insbesondere die Praxisanleiter und Lehrkräfte aber auch jeder Einzelne gefordert die Arbeitsabläufe zu überdenken und nach aktuellen Grundlagen anzupassen.
Das folgende Zitat trifft diesen Zusammenhang meiner Ansicht nach sehr deutlich:
„… solange wir der bequemen Ausrede frönen, daß wir alleine nichts ändern können, solange unsere Arbeit von Gehorsam, Autoritätsgläubigkeit und kritiklosem Übernehmen von Ritualen, ohne deren Sinnhaftigkeit oder deren Fundament zu hinterfragen, geprägt ist, solange wir ungestört den alten Trott weitergehen und unsere Rituale hegen und pflegen, wird sich in der Pflege nichts ändern. Solange die Pflege ihre Rituale und Mythen nicht durch eine wissenschaftliche Grundlage ersetzt, werden wir schwerlich die Bezeichnung Profession für unseren Beruf in Anspruch nehmen können" (Kühne-Ponesch und Mayer o.J., S. 7).
Literatur:
Abt-Zegelin A. (o.J.): Sinn und Unsinn von Pflegeritualen. www.uni-wh.de/fileadmin
/user_upload/modules/Studium/Weiterbildung/Pflege/Fernlehrgang__Anleitung_in_der_Pflege/
Text_Zeglin_-_Pflegerituale.pdf (Abruf: 10.02.2010).
Balon C. (o.J.): Pflegerituale. www.balon-vsb.at/pdffiles/pfrituale.PDF (Abruf: 10.02.2010).
Diercks B. (1998): Rituale in der Pflege – Sinn oder Unsinn?. www.ev-diakonieverein.de/index.php3 (Abruf: 10.02.2010).
Dreyfus H.L., Dreyfus S.E. (2000): Kompetenzerwerb im Wechselspiel von Theorie und Praxis. In: Benner P. et al: Pflegeexperten. Pflegekompetenz, klinisches Wissen und alltägliche Ethik. Bern: Verlag Hans Huber, S. 45-67
Kühne-Ponesch S., Mayer H. (o.J.): Rituale und Wissenschaft in der Pflege. www.oegvp.at/newbook/kuemay1.htm (Abruf: 10.02.2010).
Simon F.B. (2007): Die Kunst, nicht zu lernen. Und andere Paradoxien in Psychotherapie, Management, Politik… 4. Auflage. Heidelberg: Carl- Auer- Systeme Verlag
Walsh M., Ford P. (2000): Pflegerituale. Deutschsprachige Ausgabe herausgegeben von Angelika Abt- Zegelin. 2. Überarbeitete und erweiterte Ausgabe. Bern: Verlag Hans Huber