50 Prozent der Deutschen sterben in Krankenhäusern. Die Versorgung von Sterbenden ist häufig defizitär, wie die Gießener Sterbestudie 2013 zeigt. Station24 sprach mit Studienleiter Professor Wolfgang George über Hintergründe und Ergebnisse.
Herr Professor George, was sind die Schwachstellen bei der Versorgung von sterbenden Patienten im Krankenhaus?
Zunächst einmal möchte ich betonen, dass Ärzte und Pflegende bemüht sind, Sterbenden einen würdevollen Tod zu ermöglichen. Dennoch gibt es in der Tat verschiedene Problemfelder. Auffällig war zum Beispiel, dass 34 Prozent aller befragten Ärzte und Pflegende angaben, sich nur selten oder nie Zeit für die Betreuung Sterbender nehmen zu können. Gar 46 Prozent äußerten, dass das Pflegepersonal zur Sterbebetreuung nicht genug Zeit hat. Das ist natürlich ein äußerst problematischer Befund! Auch die räumliche Situation bleibt in Kliniken für eine angemessene Versorgung zurück. Über die Hälfte der Befragten können diese nur mit „ausreichend" oder „mangelhaft" bewerten.
Wo sehen Sie weitere Defizite?
Die Ausbildung ist ein sehr großes Manko. Bei den Medizinern ist die Situation richtig mies - Hier steht die Ampel eindeutig auf rot! Pflegende stehen etwas besser da, allerdings auf niedrigem Niveau. Die Angehörigenintegration ist eine weitere Schwierigkeit. Es werden weder angemessene Besuchszeiten noch die Möglichkeit angeboten, dass sich Familienmitglieder in die Pflege des Sterbenden einbringen. Was mich zudem beunruhigt hat, war das Ergebnis, dass knapp die Hälfte der Studienteilnehmer glaubte, dass lebensverlängernde Maßnahmen unnötig ergriffen werden.
Gießener Sterbestudie 2013
Die Gießener Sterbestudie 2013 untersuchte die Sterbebedingungen in deutschen Krankenhäusern. An ihr beteiligten sich 212 Kliniken. Das Ziel der wissenschaftlichen Arbeit war es, anhand eines etwa 40 Items umfassenden Fragebogen eine psycho-soziale und pflegerisch medizinische Ausgangslage zu bestimmen, um schließlich die Versorgungsqualität von Sterbenden zu beurteilen. Bei der aktuellen Sterbestudie handelt es sich um eine Neuauflage der bereits 1988 durchgeführten „Ersten Gießener Sterbestudie" von Professor Wolfgang George.
Ist die Situation in den unterschiedlichen Kliniken gleich schlecht?
Bei den frei-gemeinnützigen Häusern existieren die besseren räumlichen Bedingungen und es gibt einen respektvolleren Umgang mit den Verstorbenen. In den großen Kliniken der Maximalversorgung haben Mitarbeiter tendenziell zu wenig Zeit für die Sterbebegleitung.
Gibt es weitere Einflussfaktoren?
Ja, beispielsweise die Stationsart. Die Ressourcen sind auf der Allgemeinstation am stärksten und im onkologischen Bereich am wenigsten begrenzt. Dort werden auch Arbeitsklima, Wertschätzung und Kommunikation am besten bewertet. Auf der Intensivstation sind all die erwähnten Defizite am stärksten ausgeprägt. Hier stehen eher medizinisch-therapeutische als betreuerische Schwerpunkte im Vordergrund.
Wer geht mit den angesprochenen Problemen besser um – Ärzte oder Pflegende?
Es sind ganz klar die Ärzte, die am schlechtesten vorbereitet sind! Pflegende sind hier etwas weiter. Auffällig war, dass weibliche Mitarbeiter - Ärztinnen und Krankenpflegerinnen - für die Bedürfnisse der Schwerstkranken und deren Angehörigen mehr Empathie aufbrachten als ihre männlichen Kollegen.