Multiresistente Keime im Krankenhaus sorgen für Aufruhr: Oft wirken fast keine Antibiotika mehr, wenn es zur Infektion kommt. Schnelles Reagieren ist dann vonnöten, hygienebewusstes Verhalten eine Conditio sine qua non.
Ob Cholera oder Kindbettfieber, viele Erfolge der Medizin lassen sich auf bessere Hygiene zurückführen. Sie begründet die moderne Präventionsmedizin. Die Kenntnis um Übertragungswege und deren Vermeidung hat sich auch im Umgang mit Aids bewährt. Neu im Fokus des öffentlichen Interesses stehen seit geraumer Zeit nosokomiale Infektionen, das heißt Infektionen, die der Patient erst im Krankenhaus erworben hat.
Ein probates Mittel zur Risikominimierung ist eine sorgsame Händehygiene bei Ärzten und Pflegekräften vor und nach jedem Patientenkontakt sowie bei einem Wechsel zwischen kontaminierten und sauberen Köperbereichen eines Patienten und nach dem Umgang mit potenziell infektiösen Materialien und Oberflächen in der Patientenumgebung. Diese effektive Maßnahme ist Ende des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten. Erst die Kampagne der World Health Organisation (WHO) „Clean Care is Safer Care" im Jahr 2005 hat dazu geführt, sich deren Bedeutung wieder in Erinnerung zu rufen.
In Deutschland starte 2008 die Öffentlichkeitsoffensive „Aktion saubere Hände" in Krankenhäusern. Sie wird von dem Nationalen Referenzzentrum für die Surveillance nosokomialer Infektionen an der Charité (NRZ), dem Aktionsbündnis Patientensicherheit und der Gesellschaft für Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen getragen und vom Bundesgesundheitsministerium unterstützt.
Die Ergebnisse einer begleitenden Beobachtungsstudie von 2008 bis 2013 zeigen, dass – gemessen an den fünf Kriterien der WHO für richtige Händedesinfektion – bei den teilnehmenden 119 Intensivstationen und 304 anderen Stationen die Compliance im Median von 62 bzw. 64 Prozent auf jeweils 74 Prozent gesteigert werden konnte. Alle Berufsgruppen und Fachrichtungen haben sich verbessert. Im Schnitt verhalten sich Pflegeschüler und Pflegefachkräfte allerdings hygienebewusster als Ärzte, wobei die Medianwerte höher liegen als die arithmetischen Mittelwerte, die sonst oft Erwähnung finden.
Bei der Frage, wie viele Patienten sich nosokomiale Infektionen zuziehen, besteht Uneinigkeit unter den Gelehrten. Die Angaben schwanken je nach Quelle zwischen 400.000 und 800.000 oder mehr Infektionen pro Jahr. Das Robert Koch-Institut (RKI) geht von 500.000 Infektionen jährlich aus. Die Verweildauer der betroffenen Patienten im Krankenhaus verlängert sich im Druchschnitt um vier Tage, bei Intensivpatienten sogar um fünf Tage, was mit hohen zusätzlichen Kosten für die Häuser verbunden ist.
Etwa ein Drittel der nosokomialen Infektionen ließe sich verhindern, so die Mitteilungen des RKI. Andere Schätzungen sind mit 20 bis 30 Prozent etwas vorsichtiger. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene verweist wiederum auf US-amerikanische Studien, wonach ein weitaus höherer Anteil vermeidbar sei.
Nach einer aktuellen Prävalenzstudie in 46 repräsentativ ausgewählten und 86 freiwillig teilnehmenden Krankenhäusern haben fünf Prozent der Krankenhauspatienten in Deutschland eine nosokomiale Infektion. Etwa 3,5 Prozent der Patienten haben ihre Infektion während des aktuellen Krankenhausaufenthaltes erworben. Dieser Prozentsatz deckt sich mit den Ergebnissen der oft zitierten ersten Studie über „Nosokomiale Infektionen in Deutschland. Erfassung und Prävention" aus den 90er-Jahren.
Kleinere Häuser erzielten bessere, große Häuser dagegen schlechtere Ergebnisse. Etwa doppelt so hoch sind die Werte auf der Intensivstation und in der Chirurgie. Zu diesem Ergebnis kam eine Anschlussuntersuchung, die in den Jahren 1997 bis 1999 in acht Häusern durchgeführt wurde (NIDEP 2). Hoch ist die Infektionsanfälligkeit außerdem in der Neonatologie, da die Abwehrkräfte der Frühgeborenen stark geschwächt sind.
Ein methodisches Problem der genannten Studie ist, dass Infektionen, die zwar nosokomial erworben wurden, aber erst nach der Krankenhausentlassung ausbrechen, nicht erfasst werden. Eine tendenzielle Untererfassung besteht auch bei den Infektionsausbrüchen, da nur die tatsächlichen gemeldeten Ausbrüche in die Statistiken einfließen. Hinzu kommt, dass nicht ganz eindeutig geregelt ist, ab wann von einem meldepflichtigen Ausbruch auszugehen ist.
Nach dem Infektionsschutzgesetz ist dem Gesundheitsamt unverzüglich das gehäufte Auftreten nosokomialer Infektionen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird, als Ausbruch nicht-namentlich zu melden (§ 6 Abs. 3). Für 2011 weist das statistische Jahrbuch des Robert Koch-Instituts (RKI) 617 nosokomiale Ausbrüche aus, das heißt im Durchschnitt ein Ausbruch je drei Krankenhäuser.
Das Gros der Ausbrüche (69 Prozent) ist auf das Norovirus zurückzuführen, das für die Patienten aufgrund von Erbrechen und starken Durchfällen zwar lästig, aber nicht bedrohlich ist. Jeder vierte bis fünfte Ausbruch (22 Prozent) ist bakteriell bedingt. An der Spitze stehen Clostridien mit 32 Ausbrüchen, gefolgt von Staphylokokken mit 29 Ausbrüchen. Je Ausbruch durch Clostridium difficile und Staphylokokken sind bis zu 17 Patienten betroffen.
Der Patient bringt die Erreger meist mit
Doch erklärt dies nur einen Teil der Infektionsraten. „Wir gehen davon aus, dass etwa fünf bis zehn Prozent aller nosokomialen Infektionen in Ausbrüchen erworben werden", sagt Mikrobiologe Prof. Dr. Ralf-Peter Vonberg von der Medizinischen Hochschule Hannover und führt aus: „Die meisten Neuinfektionen entstehen durch Erreger, die der Patient bereits im Körper hat. Nach einer Operation, zum Beispiel am Darm, können sie zur Infektion führen, was sich in dem Fall nicht immer vermeiden lässt."
Unter den bakteriellen Neuinfektionen sind Katheter-assoziierte Harnwegsinfektionen, postoperative Wundinfektionen, beatmungsassoziierte Pneumonien und primäre Sepsis häufig. Gravierend, teils lebensbedrohlich, sind die Infektionen, wenn multiresistente Keime beteiligt sind.
Zu wenig Fachkräfte
Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) am Robert Koch-Institut empfiehlt, dass ein Krankenhaushygieniker je 400 Betten hauptamtlich tätig sein sollte. Sofern ein externer Hygieniker das Krankenhaus berät, sollte die Zusammenarbeit mit dem internen Hygieneteam vertraglich vereinbart sein.
Seit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes 2011 gelten die Empfehlungen der KRINKO als Standard, der einzuhalten ist. Die Umsetzung soll bis Ende 2016 erfolgen. Näheres regeln die Hygieneverordnungen der Länder. Allerdings ist das Angebot an ausgebildeten Hygienikern knapp, Ausbildungsstätten für die Facharztweiterbildung sind rar. 2012 erhielten bundesweit zwölf Mediziner die Anerkennung als Hygienefacharzt, darunter sieben Frauen.
Die Bundesärztekammer zählt insgesamt 201 berufstätige Fachärzte für Hygiene und Umweltmedizin. Hinzu kommen 697 Fachärzte für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, die gleichfalls infrage kämen, doch primär in Laboren arbeiten. Dem stehen knapp 400 Krankenhäuser mit mehr als 400 Betten gegenüber, darunter 93 Häuser mit mehr als 800 Betten.
Noch größer ist der Bedarf an Hygienefachkräften, die aus der Pflege stammen und sich entsprechend weiterqualifiziert haben. Je nach Risikoprofil eines Hauses bzw. einer Patientengruppe empfiehlt die KRINKO eine Hygienefachkraft je 100, 200 oder 500 Betten. Zusätzlich sollte es eine hygienebeauftragte Pflegekraft je Station geben, die die Hygienethemen vermittelt und damit zur Akzeptanz empfohlener Maßnahmen beitragen kann. Letzteres haben nicht alle Länder in ihren Verordnungen übernommen.
Bei einer Gesamtzahl von 500.000 Krankenhausbetten in 2.000 Krankenhäusern wären nach der KRINKO-Empfehlung – grob vereinfachend geschätzt – etwa 2.000 bis 4.000 Hygienefachkräfte erforderlich. Die amtliche Bundesstatistik zu den Grunddaten der Krankenhäuser weist für das Jahr 2012 aus, dass tatsächlich 1.338 Hygienefachkräfte in 829 Krankenhäusern tätig sind.
Innerhalb der Krankenhäuser ist die Stellung der Hygienefachkräfte recht unterschiedlich. Die Empfehlung der KRINKO sieht vor, dass die Fachkräfte vorwiegend im pflegerischen Bereich agieren und dem Hygieniker fachlich und dienstlich zugeordnet sein sollen. „Oft übernehmen Hygi-enefachkräfte aber deutlich mehr Aufgaben und koordinieren den gesamten Hygieneprozess", beschreibt Karl-Heinz Stegemann, Vorsitzender der Vereinigung der Hygienefachkräfte Deutschland (VHD), die reale Arbeitssituation. wes
Der Methicillin-/Oxacillin-resistente Erreger, kurz MRSA, ist eine besondere Form der Staphylokokken. Seit den 90er-Jahren hat er sich stark ausgebreitet und machte zuletzt mehrere Jahre einen Anteil von 20 Prozent der Staphylococcus-aureus-Erreger in Deutschland aus. 2011 sank der Anteil wieder leicht. In den letzten Jahren stetig zugenommen hat der Anteil der Tier-assoziierten MRSA, was Nachwuchswissenschaftler Dr. Robin Köck (siehe Seite 78) in einem interdisziplinären Forschungsprojekt mit Veterinärmedizinern nachgewiesen hat.
MRSA-Infektionen gelten als schwer therapierbar, da die Auswahl an noch wirksamen Antibiotika eingeschränkt ist. Prävention ist möglich. Dr. Köck erklärt: „Bevor es zu einer Infektion kommt, können MRSA-Keime wirksam behandelt werden, zum Beispiel mit einer Nasensalbe. Deswegen ist ein Screening von Risikopatienten so wichtig."
Seit Juli 2009 müssen medizinische Untersuchungslabore den Gesundheitsämtern melden, wenn sie in Blut oder Hirnflüssigkeit (Liquor) MRSA-Erreger nachweisen. Dies soll die Kenntnis über den Verbreitungsgrad und die Übertragung des multiresistenten Keims verbessern und Vorteile für Diagnostik und Therapie bringen. Ob Krankenhäuser aufgetretene Infektionen in der Referenzdatenbank des NRZ an der Berliner Charité dokumentieren, ist hingegen freiwillig. Das NRZ in Berlin ermöglicht eine Infektions-Surveillance in neun Modulbereichen, die jeweils ein hohes Infektionsrisiko aufweisen, zum Beispiel in der Neonatologie oder für Patienten nach Knochenmarkstransplantation.
Derzeit beteiligen sich gut 1.400 Krankenhäuser an mindestens einem Modul, das sind 400 mehr als noch vor zwei Jahren. Möglicherweise ist dies Ausdruck dafür, dass das Hygienebewusstsein oder der Wunsch nach einem Benchmarking in den Häusern nochmals gestiegen ist. Grundsätzlich gilt auch hier: Je mehr Krankenhäuser bei den Surveillance-Modulen mitmachen, desto aussagekräftiger die Referenzdatenbank, desto besser die Risikofaktorenanalysen, anhand derer Maßnahmen für das Infektionsmanagement abgeleitet werden können.
Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsmanagement des RKI (KRINKO) empfiehlt Krankenhäusern die Teilnahme am Surveillance-System als Bestandteil des Hygienemanagements. Ferner sollen die Häuser über genügend qualifiziertes Fachpersonal verfügen, die Compliance bei der Händehygiene feststellen, ihr Personal schulen und Strategien und Präventionsstandards regelmäßig auditieren. Weitere Empfehlungen beziehen sich auf die mikrobiologische Diagnostik und einen verantwortungsbewussten Einsatz von Antibiotika.
Hände größte Gefahrenquelle
Über den Nutzen der Präventionsmaßnahmen besteht europaweit Konsens. Viel dringlicher ist die Frage, wie die Empfehlungen von den Krankenhäusern umgesetzt werden (können). Mit hygienisch einwandfreien Händen ließen sich große Erfolge erzielen. Die Hygiene-Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hält fest, dass über 90 Prozent der exogen verursachten Infektionen durch die Hände übertragen werden. Außerdem sei die hygienische Händedesinfektion im Krankenhaus wegen der besseren Wirkung und Hautverträglichkeit gegenüber dem Händewaschen zu bevorzugen.
„Besonders notwendig ist die Händehygiene vor Patientenkontakten und vor aseptischen Tätigkeiten, also bevor Bereiche berührt werden, die primär nicht kolonisiert sind", betont Claudia James, Direktorin des Bode Science Centers, eines Unternehmens der Hartmann Gruppe, das für den Infektionsschutz forscht. Leider sei aber die Compliance mit 20 bis 50 Prozent immer noch sehr gering.
Ein haftungsrelevantes Risiko
Die intangiblen Kosten einer nosokomialen Infektion trägt der Patient. Er leidet, wenn seine Wunden nicht heilen. Um sein Leid zumindest finanziell zu lindern, könnte er versuchen, das Krankenhaus hierfür haftbar zu machen, doch das erfordert einen langen Atem: Der Patient muss den Nachweis führen, dass seine Infektion durch ein mangelhaftes Hygienemanagement verursacht worden ist. Dies gilt bei Behandlungsfehlern generell. „In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Haftungsfälle, die von Schlichtungsstellen oder vor Gericht bearbeitet werden, gestiegen", beobachtet Dr. Inken Kunze, Fachanwältin für Medizinrecht. Der Trend werde wohl anhalten.
Nach dem Patientenrechtegesetz, das seit Februar dieses Jahres in Kraft ist, ist ein Behandlungsfehler außerdem zu vermuten, „wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat", wie in Paragraf 630 h Absatz 1 BGB zu lesen ist.
Wenn Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüche geltend gemacht werden, bieten manche Haftpflichtversicherer und andere Kenner der Branche den Häusern Unterstützung an, wie mögliche Fehler künftig vermieden werden können. Bei einer Neubewertung oder einem neuen Vertragsschluss fließt in die Festsetzung der Prämienhöhe mit ein die Risikostruktur eines Krankenhauses und ob ein Risikoma-nagement vorhanden ist.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) empfiehlt seinen Mitgliedern, als Maßstab für die Dynamik der Versicherungsprämien den Umsatz eines Krankenhauses als Grundlage heranzuziehen. Bis 2007 war die Bettenzahl maßgeblich. Anhand der Fallzahlen ließe sich das Risiko zwar genauer abbilden, doch sei dies zu aufwendig zu erheben, heißt es in einer aktuellen GDV-Studie. Gleichwohl fließen Personenschäden – so der Fachbegriff, wenn Menschen betroffen sind – in die Kalkulation ein. Sie machen mehr als die Hälfte aller Schadensmeldungen im Gesundheitswesen aus.
Der GDV hat berechnet, dass sich der Gesamtschadensaufwand von 1998 bis 2007 um sieben bis 8,5 Prozent pro Jahr erhöht habe, allein von 2003 bis 2007 um mehr als 14 Prozent pro Jahr. Jeder fünfte gemeldete Personenschaden gilt als Großschaden und zieht Zahlungen in Höhe von 100.000 Euro oder mehr nach sich, teils in Millionenhöhe. Besonders sensibel ist der Bereich der Geburtshilfe mit entsprechend hohen Schadensersatzansprüchen. „Anfang des Jahres zogen sich einige Versicherer aus diesem Marktsegment zurück. In Summe wurden knapp 30 Prozent des Marktvolumens für Haftpflichtversicherungen im Gesundheitswesen freigegeben", informierte Harald Speil, Versicherungskammer Bayern, auf dem Nationalen Qualitätskongress in Berlin 2013.
Ein ähnlicher Einbruch sei im kommenden Jahr jedoch nicht zu erwarten; inzwischen hätten einige andere Versicherer Interesse an dem Markt geäußert. Durch eine Risikoanalyse, die auch „Beinah"-Schäden in den Blick nimmt, lassen sich vermeidbare Risiken im Vorfeld besser erkennen und beheben. „Auch die Nichtbeachtung von Hygienevorschriften stellt ein solches Risiko dar", führt Kunze aus, „ebenso eine unzureichende Kommunikation zwischen den beteiligten Berufsgruppen oder organisatorische Mängel."
Was darunter zu verstehen ist, kann strittig sein. Bis zum 26. Februar 2014 soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) erstmalig wesentliche Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit bestimmen und Mindeststandards für das Risikomanagement- und Fehlermeldesystem festlegen (§ 137 Abs. 1 d SGB V). wes
Händehygiene im Krankenhaus müsse so selbstverständlich ablaufen wie das Betätigen einer Gangschaltung beim Autofahren. „Hygiene ist keine Frage der Erkenntnis, sondern der Umsetzung im klinischen Alltag", beobachtet Joachim Prölß, Direktor für Patienten- und Pflegemanagement und Vorstandsmitglied des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). „In der Ausbildung lernen Pflegekräfte, wann welche Hygienemaßnahmen erforderlich sind. Damit sie ihr Wissen anwenden und beibehalten, ist es wichtig, dass sich die Vorbilder auf den Stationen entsprechend verhalten." Ausgehend von konkreten Arbeitsabläufen beim Legen eines peripheren Venenkatheters haben das Bode Science Center und eine Arbeitsgruppe des UKE ein Konzept erarbeitet, um verschiedene für den Patienten kritische Handlungsschritte einschließlich der Händehygiene zu verbessern. Der Teufel steckt dabei jedoch wie fast immer im Detail. Was konkret ist eine aseptische Tätigkeit? Schon das Öffnen einer sterilen Verpackung oder das Herausnehmen des Katheters? Wie lässt sich verhindern, dass eine bereits desinfizierte Hautstelle nochmals (versehentlich) berührt wird? Etwa drei Monate hat es gedauert, bis das Team exakt beschrieben hat, wie die Händedesinfektion gemäß den fünf Indikatoren der Weltgesundheitsorganisation sowie andere für den Patientenschutz relevante Maßnahmen zu einem genuinen Bestandteil der Arbeit werden können.
Die Umsetzung des Konzeptes wurde in vier Bereichen erprobt: Zentrale Notaufnahme, Endoskopie, Kinderheilkunde und Hauterkrankungen. Gut 200 Ärzte und Pflegekräfte nahmen an der Studie teil. Eine Studienschwester beobachtete zunächst unbemerkt sechs Stunden pro Tag das Hygieneverhalten auf den Stationen. Anschließend wurden die Ärzte und Pflegekräfte zum hygienisch korrekten Legen des Venenkatheters geschult und erneut beobachtet.
Die Intervention war wirksam: Das Hygieneverhalten hat sich nach Indikationsgebieten verbessert: Händedesinfektion vor dem Patientenkontakt (11,6 auf 57,9 Prozent), keine Palpation der Punktionsstelle (33,3 auf 66,3 Prozent), Händedesinfektion vor aseptischer Tätigkeit (0,5 auf 45,5 Prozent), sterile Abdeckung der Punktionsstelle (24,6 auf 73,3 Prozent).
Bei der Hautantisepsis der Punktionsstelle verhielten sich die Ärzte und Pflegekräfte schon vor der Intervention einwandfrei (99 Prozent). „Besonders erfreulich ist, dass über 90 Prozent der Teilnehmer die Intervention nicht als störend empfunden haben. Fast die Hälfte hat sie sogar als hilfreich erlebt", sagt James und erklärt, das sei bei Interventionsstudien nicht selbstverständlich. „Sehr positiv ist, dass diejenigen, die die von uns erarbeitete Schrittfolge anwenden, dies auch zu hundert Prozent richtig machen. Vielleicht schaffen wir so den Weg zu einem Automatismus in der Handhygiene."
Das zwölfmonatige Projekt wurde in diesem Jahr abgeschlossen. „Nun beginnt die eigentliche Arbeit" meint Prößl, „wir wollen das Gelernte auf weitere Bereiche ausdehnen." Im Jahr 2014 plant das UKE, die Hygiene beim Legen eines zentralen Venenkatheters, im Umgang mit sogenannten Venen-Ports, die unter der Haut implementiert werden, und bei Blasenverweilkathetern zu verbessern. „Wir werden uns auch hier die Arbeitsschritte genau ansehen, die richtigen Punkte zum Patientenschutz identifizieren und die Ärzte und Schwestern breit informieren und schulen", sagt Prößl.
Zur Nachhaltigkeit trägt bei, dass das UKE in puncto Hygiene gemäß Landeshygieneverordnung Hamburg personell aufgestockt hat. Derzeit sind zwei Hygieniker in dem Haus mit 1.600 Betten tätig sowie acht ausgelernte Hygienefachkräfte und zwei angehende Fachkräfte, die ihre Ausbildung 2015 abschließen werden. Zusätzlich helfen hygienebeauftragte Ärzte und Mentoren aus der Pflege, dass die Hygienemaßnahmen auf den Stationen verankert werden.
Auch auf diesem Gebiet stocken die Hamburger auf. Organisatorisch ist das Hygienemanagement als Stabsstelle direkt beim Vorstand angesiedelt. „Es geht darum, den Stellenwert der Hygiene deutlich zu machen", erläutert der Pflegedirektor. „Hygiene ist genauso wichtig wie die richtige Medikamentenausgabe und kostet kaum Zeit. Ich kann meine Hände desinfizieren, während ich auf den Patienten zugehe, um einen Katheter anzulegen oder einen Verband zu wechseln."
Trotz aller Vorsicht können nosokomiale Infektionen auftreten, zumal ein Teil der bakteriellen Infektionen endogen bedingt ist. Bei einem Ausbruch gilt es rasch zu handeln, Kontakt mit dem Gesundheitsamt aufzunehmen, Patienten und Angehörige zu informieren und die nötigen medizinischen Maßnahmen einzuleiten.
Noch fehlen Medikamente bei Antibiotikaresistenz. Neue wirksame Antibiotika oder Behandlungsalternativen zu entwickeln, ist Teil eines gesamteuropäischen Aktionsplans zur Abwehr von Resistenzen. 800 Millionen Euro sind bereits in die Forschung investiert worden. Aktuell förderte die EU 15 weitere Projekte mit 91 Millionen Euro, um auf diesem Gebiet Fortschritte zu erzielen.
Best Practice aus Münster
Europa wächst zusammen. Patienten in Grenzregionen versprechen sich im Nachbarland unter Umständen eine schnellere, bessere oder kostengünstigere Behandlung. Manchmal ist auch einfach die Einrichtung besser zu erreichen. Mit einer neuen EU-Richtlinie, die am 25. Oktober 2013 in Kraft trat, sollen bürokratische Hürden weiter abgebaut werden.
Hohe Qualitätsstandards diesseits und jenseits der Grenzen sind zwingend, damit eine echte Wahlfreiheit besteht. Für Deutschland bedeutet dies, dass die MRSA-Infektionsrate auf ein deutlich niedrigeres Niveau gesenkt werden muss, damit sich Patienten aus den Niederlanden ähnlich sicher fühlen können wie in ihrer Heimat.
Das MRSA-net in der Grenzregion zu den Niederlanden, das 2005 vom Universitätsklinikum Münster initiiert und im Wesentlichen über EU-Mittel gefördert wurde, ist eines der ersten Präventionsnetze, die sich dieser Aufgabe gestellt haben. „Es ging darum, Krankenhäuser, niedergelassene Ärzte und Pflegeeinrichtungen für eine gemeinsame Präventionsstrategie zu gewinnen und Strukturen zu etablieren, die die Umsetzung der KRINKO-Empfehlungen erleichtern.
Zum Beispiel führte die KV Westfalen-Lippe eine EBM-Ziffer ein, damit Hausärzte ihre Hygieneleistungen abrechnen können", sagt Dr. Robin Köck von der Uniklinik Münster. „Doch musste zuvor noch einige Überzeugungsarbeit geleistet werden, da mit dem Projekt die Inzidenzraten für MRSA zunächst stiegen, weil durch eine aktive Suche nach MRSA-Trägern (‚Screening‘) mehr Fälle sichtbar wurden und dies in der öffentlichen Darstellung durchaus problematisch sein kann."
Innerhalb des Netzes haben die Gesundheitsämter eine zentrale Stellung inne, da sie sektorenübergreifend tätig werden und im Zuge ihrer jährlichen Krankenhaus-Begehung die Einhaltung der empfohlenen Maßnahmen überprüfen können. 2006 empfahl die Gesundheitsministerkonferenz der Länder, nach diesem Vorbild flächendeckend Präventionsnetze zu etablieren.
Mit dem Projekt EurSafety Health-Net, das 2009 entstand, wurde das Netzwerk auf die gesamte deutsch-niederländische Grenzregion von der Nordsee bis Aachen ausgeweitet, eine Region mit 13 Millionen Einwohnern. Es befasst sich nunmehr mit der Prävention von nosokomialen Infektionen insgesamt.
Aus Sicht des Europäischen Parlaments ist EurSafety ein Flaggschiff unter den Interreg-Förderprojekten. Die Federführung befindet sich seit 2011 in den Niederlanden, da der Hauptkoordinator Prof. Dr. Alexander W. Friedrich von Münster an die Universität Groningen wechselte.
Fortgeführt wird das systematische MRSA-Screening von Risikopatienten, das heißt von Patienten, bei denen es zum Zeitpunkt der Aufnahme in ein Krankenhaus wahrscheinlich ist, dass sie den Keim bereits in sich tragen und die aufgrund der besonderen Behandlungssituation im Krankenhaus einem hohen Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Hierzu zählen Patienten, die in den letzten zwölf Monaten bereits im Krankenhaus waren, Patienten aus Pflegeeinrichtungen, Patienten mit chronischen Wunden oder einer Antibiotikatherapie.
„Auch Landwirte aus Betrieben mit Schweinehaltung sind einem hohen Risiko ausgesetzt", ergänzt Köck. „Rund 80 Prozent tragen den MRSA-Erreger in sich, meist auf der Schleimhaut des Nasenvorhofs. Unter Tierärzten, die sich auf Schweine spezialisiert haben, ist immer noch fast jeder zweite besiedelt. Die unmittelbare Exposition gegenüber Nutztieren scheint entscheidend zu sein; von den Angehörigen der Landwirte sind lediglich fünf Prozent betroffen, sonst ein Prozent der Bevölkerung." Für seinen Beitrag zur Typisierung von MRSA-Erregern erhielt der Mediziner den Becton-Dickinson-Forschungspreis 2013 der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie.
Eine weitere Keimgruppe, gegen die viele Antibiotika unwirksam sind und die seit einigen Jahren vermehrt auftritt, sind die multiresistenten gramnegativen Erreger (MRGN). „Anders als bei MRSA sind die Infektionsraten für MRGN in Deutschland und den Niederlanden etwa gleich hoch", sagt Köck.
Ein Screening sei bei MRGN meist nicht empfohlen. Der Erregernachweis erfolgt über einen Abstrich, sobald eine Infektion aufgetreten ist. In Risikobereichen von Krankenhäusern empfiehlt die KRINKO eine Isolation des Patienten, damit sich der Krankheitsherd nicht weiter ausbreitet. Um die Therapiebarkeit von multiresistenten Keimen künftig zu verbessern, ist es notwendig, dass Ärzte Antibiotika rational verordnen und wenn möglich auf Breitbandantibiotika verzichten.
Im EurSafety Health-Net entstehen Leitlinien, die einen gezielten Einsatz von Antibiotika beschreiben und den niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern sowohl in Papierform als auch elektronisch über Apps zugänglich gemacht werden. Ein wirksames Hygienema-nagement durchzieht die gesamte Einrichtung. wes
„Ein Stück weiter"
Professor Helge Karch sieht Fortschritte im Kampf gegen nosokomiale Infektionen. Trotzdem fordert er eine nationale Forschungsinitiative.
Herr Prof. Karch, Sie kommen aus dem Bereich der Medizinischen Mikrobiologie. In welcher Beziehung stehen Mikrobiologen und Krankenhaushygieniker zueinander?
Beide müssen Hand in Hand arbeiten. Mikrobiologen erforschen die molekularen Grundlagen für die Diagnostik und Therapie von Infektionskrankheiten. Krankenhaushygieniker entwickeln Präventionsstrategien und geeignete Rahmenbedingungen im Krankenaus, indem sie mikrobiologische Erkenntnisse aufgreifen und in die Praxis umsetzen. Bei uns tauschen sich beide Fachrichtungen täglich aus, um aktuelle Fälle zu diskutieren. Ziel ist eine patientenorientierte Krankenhaushygiene.
Welche neuen Erkenntnisse hat die Mikrobiologie in den letzten Jahren hervorgebracht?
Die diagnostischen Verfahren sind genauer und schneller geworden. Wir verwenden mittlerweile auch massenspektrometrische Methoden, d. h., wir differenzieren Krankheitserreger anhand ihrer verschiedenen Moleküle und können über einen genetischen Fingerabdruck der Bakterien feststellen, inwieweit sich die Krankheitserreger unterscheiden. Da sich Bakterien alle 20 Minuten teilen und somit schnell verändern, reicht es nicht aus, einen Erreger lediglich zu identifizieren, sondern wir müssen ihn typisieren, um ihn einer Entwicklungslinie zuordnen zu können.
Welche Ansätze sehen sie speziell in der Prävention von nosokomialen Infektionen?
Zunächst müssen wir wissen, ob der Patient zum Beispiel einen MRSA-Erreger bereits in sich trägt oder erst während eines Krankenhausaufenthalts erworben hat. Im ersten Fall sprechen wir von einer endogen verursachten Infektion, im zweiten von einer exogenen Infektion. Für die Prävention ergeben sich hieraus drei Handlungsfelder: erstens eine gute Frühdiagnostik durch das Screening von Risikopatienten, da ein MRSA-Keim über die Blutbahn einen Infektionsherd verursachen kann. Zweitens müssen wir einen verantwortungsbewussten Einsatz von Antibiotika unterstützen, um den Anteil der nicht mehr wirksamen Medikamente zu mindern. Drittens brauchen wir eine gute Organisation der Patientenversorgung mit genügend Personal, Surveillance und modernen Hygienestandards, zum Beispiel beim Anlegen eines Katheters.
Dieses Jahr haben Sie und Ihr Team den Preis für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention erhalten, den das Robert Koch-Institut erstmals verliehen hat. Welche Ihrer Erfolge fanden besondere Würdigung?
Für mich ist die gute Zusammenarbeit im Team entscheidend, ohne die wir sicherlich keinen Preis erhalten hätten, da Projekte auf Kooperation basieren. Gewürdigt wurde unsere Netzwerkarbeit zur Prävention von nosokomialen Infektionen. 2005 haben wir hier Pionierarbeit geleistet, heute gibt es etliche regionale Netze. Auf dem Gebiet der molekularen MRSA-Charakterisierung sind wir durch den genetischen Fingerabdruck einen Schritt weitergekommen, auch dies fand Beachtung. Ferner tragen wir durch die neu gegründete Westfälische Akademie für Krankenhaushygiene an unserem Institut dazu bei, die Ausbildung von Fachärzten für Hygiene und Umweltmedizin zu verbessern. Das Curriculum sieht eine enge Verzahnung von Theorie, Praxis und Forschung vor. In eigenen Forschungsprojekten suchen die angehenden Fachärzte nach Antworten auf Infektionsquellen und Übertragungswege nosokomialer Erreger.
Wofür werden Sie den mit 50.000 Euro dotierten Preis verwenden?
Jeder Cent geht in die Forschung! Das Geld brauchen wir insbesondere für die Grundlagenforschung von Krankenhausinfektionen. Da sich die Erreger schnell verändern, müssen wir sowohl kurzfristige Dynamiken als auch langfristige Entwicklungslinien verstehen lernen, um Prävention evidenzbasiert gestalten zu können. Letztendlich bräuchten wir eine nationale Forschungsoffensive auf dem Gebiet der nosokomialen Infektionen, um unsere Kräfte zu bündeln.
Das Interview führte Dr. Adhelheid Weßling.
Dieser Beitrag ist in Ausgabe 6/13 der GesundheitsWirtschaft erschienen.