• Bildung
Notfallausbildung

Drücken, drücken, drücken!

An der Uniklinik Köln hat sich in den vergangenen Jahren ein besonderes Konzept für die Notfallausbildung etabliert, das Basisreanimationskurse für sämtliche Mitarbeiter, Advanced Life Support-Einheiten für Intensivpflegende sowie unangekündigte Übungsszenarien umfasst. Positive Effekt im alltäglichen Arbeiten kamen schnell zum Vorschein.

Schrill klingelt das Notfalltelefon. Die Stimme am anderen Ende der Leitung berichtet aufgeregt von einer bewusstlosen Person auf der Behindertentoilette. Das vierköpfige Notfall-Team findet dort kurze Zeit später einen verwahrlosten Mann. Sein linker Fuß liegt frei und ist mit einem Gürtel umbunden. Ein erster Vitalzeichencheck zeigt eine deutliche Bradykardie, er atmet kaum wahrnehmbar. Gleichzeitig findet ein Teammitglied eine blutige Spritze. Das Team stellt die Arbeitsdiagnose Opiat-Intoxikation.

Alles greift nun ineinander: Während ein Teammitglied den Patienten assistierend beatmet, legt ein anderes einen venösen Zugang. Ein weiteres Mitglied zieht bereits ein Antidot mit Naloxon auf. Nach der Applikation dauert es etwa zwei Minuten, bis der Patient langsam die Augen öffnet. Als er nach wenigen Sekunden die Situation erfasst, beginnt er lauthals zu schimpfen. Es gelingt dem Mann, von der Toilette vor den Rettungskräften zu fliehen. Weit kommt er jedoch nicht, nach ein paar Schritten bricht er krampfend zusammen.

Sofort ist das Team wieder zur Stelle, überprüft erneut die Vitalzeichen. Keine Atmung. Kein Puls. Kreislaufstillstand. Gerade als das Team den Brustkorb freimacht, ertönt eine Stimme aus dem Hintergrund: „Stopp, wir wechseln auf die Simulationspuppe." Die Notfallübung war eines von zahlreichen Fallbeispielen aus dem Advanced Life Support-Kurs an der Uniklinik Köln.

Notfallausbildung besteht aus drei Bausteinen
Die Schulungen finden im Kölner Interprofessionellen Skills Lab und Simulationszentrum (KISS) statt. Ausgestattet mit zahlreichen Allgemeinstationszimmern, je zwei Notfallbehandlungs- und Schockräumen sowie einer modernen Medienanlage für Nachbesprechungen bietet das Schulungszentrum sowohl Medizinstudierenden der Universität zu Köln als auch Klinikmitarbeitern zahlreiche Übungsmöglichkeiten in Theorie und Praxis.

Hinter der Bezeichnung Skills Lab verbirgt sich das Labor für Fertigkeiten, Geschicklichkeit und Können. Skills Labs etablieren sich in Deutschland seit etwa zehn Jahren zunehmend und sind inzwischen unverzichtbarer Teil des Medizinstudiums. Diese Einrichtung ist eine Kooperation zwischen der Uniklinik Köln und der medizinischen Fakultät der Universität zu Köln. Das Schulungsprogramm in der Notfallausbildung hat bei den Teamleitungen – insbesondere der Intensivstationen der Uniklinik Köln – einen hohen Stellenwert und besteht aus drei Bausteinen:

Der Basisreanimationskurs: Dieser Kurs richtet sich an alle Klinikmitarbeiter. Neben den Pflegenden von der Allgemeinstation richtet er sich auch an die Reinigungskraft, den Mitarbeiter des Patientenservices oder den Angestellten im Verwaltungsbereich. Die Reservierung eines Platzes in dem wöchentlich stattfindenden Kurs ist einfach und unbürokratisch über die Homepage des KISS möglich. Die Mitarbeiter können nicht nur sehen wann ein Kurs stattfindet, sondern auch wie viele freie Plätze noch vorhanden sind. Ziel der Fortbildung ist es, dass im Notfall jeder im Klinikum weiß, wie eine optimale Versorgung funktioniert und wie welche lebensrettenden Maßnahmen durchgeführt werden.

In der Regel dauert der Basisreanimationskurs 90 Minuten. Neben der Vermittlung der aktuellen Guidelines des European Resuscitation Council (ERC), der Übung der Herzdruckmassage und der Bedienung eines Automatisierten Externen Defibrillators (AED) ist auch die psychologische Komponente einer der Schwerpunkte. Zweifel, aber auch die Angst vor Fehlern bei der Reanimation, sollen genommen werden. Immer wieder wird im nachhinein von Teilnehmern berichtet, wie sie sich in Notfallsituationen an die Kursinhalte erinnerten und dadurch die jeweiligen Situationen sicher und ruhig bewältigen konnten. Mit dem Ziel so viele Beschäftigte wie möglich zu schulen, wird der Basisreanimationskurs innerhalb eines Jahres am häufigsten durchgeführt. Der wichtigste Satz des Kurses lautet wohl: Drücken, drücken, drücken!

Der Advanced Life Support (ALS): Ein weiterer Baustein in der Notfall-Ausbildung sind die Reanimationstrainingseinheiten. Sie werden bereits seit Jahren in der Uniklinik Köln angeboten, fanden aber zunächst in unregelmäßigen Abständen und Eigenregie der verschiedenen Abteilungen statt. Die Schulungen bestanden aus kleinen Übungseinheiten der praktischen Herzdruckmassage. Viele andere Themen wurden meist für zwei Stunden nach einem Frühdienst theoretisch besprochen.

Eine Umstrukturierung der Reanimationsschulungen schuf Ende 2010 die einmalige Möglichkeit eines nachhaltigen Projekts. Alle Pflegepersonen aus den Intensivbereichen sollten auf gleichem Niveau in erweiterten lebensrettenden Maßnahmen geschult werden. Das Konzept einer uniklinikweiten einheitlichen Schulung für alle Fachbereiche der Intensiv- und Anästhesiepflege kam bei den Intensivpflegemanagern und den Teamleitungen der Intensiveinheiten gut an und wurde von Beginn an tatkräftig unterstützt. Der Kurs wurde großzügig mit Patientenmonitoren, Beatmungsmaschinen und Perfusorspritzenpumpen aus den Intensivbereichen ausgestattet.

Zweimal pro Monat startet die Ganztagesveranstaltung mit maximal zwölf Teilnehmern. Sie können von den Teamleitungen der jeweiligen Intensivstationen über ein elektronisches Formular schnell und unkompliziert angemeldet werden. Zusätzlich ist dem Anmeldeformular eine Liste aller Teilnehmer der letzten zwei Jahre angehängt. Diese funktioniert nach dem Ampelprinzip: Steht ein Teilnehmer auf rot, dann weiß die Teamleitung, dass sie den Mitarbeiter für eine Auffrischung der Inhalte erneut anmelden muss, weil zwei Jahre vergangen sind. Sobald der Teilnehmer angemeldet ist, erhält er eine automatisch generierte E-Mail mit den wichtigsten Informationen zum Kurstag. Die Ganztagesveranstaltung Advanced Life Support ist in einen theoretisch-praktischen Teil am Vormittag und das bewältigen von Notfallszenarien am Nachmittag unterteilt. Der theoretische Teil umfasst die aktuellen Guidelines, aber auch die richtige Kommunikation im Team während eines Notfalls. Darüber hinaus schulen die Dozenten die Teilnehmer im Atemwegsmanagement und in der Anlage eines intraossären Zugangs und lassen sie ausführlich üben. Am Nachmittag findet das Notfallszenarien-Training statt. Mit Simulationspuppen, aber auch durch den Einsatz von Schauspielpatienten sollen die Fallbeispiele möglichst realitätsnah ablaufen. Die Teilnehmer müssen Medikamente und Infusionen aufziehen, beschriften und applizieren, die Defibrillation durchführen und den Patienten an eine Beatmungsmaschine anschließen. Es ist eng, schmutzig, blutig und alle Widrigkeiten  der realen Notfallsituationen kommen vor, wie beispielsweise technische Defekte oder ein schwieriger Atemweg.

Durch den Einsatz von Schauspielern als Simulationspatienten oder Angehörige erhalten die komplexen Fallbeispiele noch mehr Tiefe. So spielt der Simulationspatient, wie im Beispiel vorhin, einen „Junkie" oder einen Patienten, der unter laufender NIV-Beatmung erbricht, einen Herzinfarkt oder einen anaphylaktischen Schock erleidet. Die Szenarien werden mit Blutkapseln, ("Fake"-) Blutkonserven, Schminke und vielem mehr gestaltet. Die Fallbeispiele sind komplex dargestellt und die Liebe zum Detail lässt die Teilnehmer die Simulation fast vergessen.

Für die Teilnehmer heißt es nun, neben der Anwendung der aktuellen Guidelines, auch Sozialkompetenz zu beweisen. In einer echten Notfallsituation müssen sie auf Patienten oder Angehörige eingehen und sind manchmal gezwungen, das Team zu splitten. Ziel ist es, nicht nur emotionalen Stress zu verursachen, sondern auch das Team in Situationen zu bringen, die eigene Lösungswege erfordern. Denn nicht alles ist und kann in den Guidelines geregelt werden. Kein Notfall gleicht dem anderen.

Der Einsatz von Simulationspatienten, in Zusammenhang mit komplexen Notfallsituationen ist eine Erfahrung, die die Teilnehmer nicht mehr missen möchten. Sie sorgen für Echtheit und einen hohen emotionalen Stressfaktor. Nach dem Ende eines Fallbeispiels erfolgt immer eine ausführliche Nachbesprechung. Dabei werden nochmal die erfolgreichen Maßnahmen bei der Bewältigung des Fallbeispiels aufgezeigt und Tipps für Verbesserungen gegeben. An diesem Debriefing nehmen neben dem Team auch die Zuschauer teil, um so einen komplexen Austausch zu ermöglichen. In den Fallbeispielen werden reale Fälle nachgeahmt und nur minimal abgewandelt, damit große Parallelen zum Arbeitsalltag der Teilnehmer entstehen. Ehemalige Teilnehmer geben an, dass sie sich in Situationen wiedergefunden haben, welche den Fallbeispielen entsprachen. Die Reaktion erfolgte dann deutlich schneller und effizienter. Auch die innere Anspannung, die solche Situationen mit sich bringen, war nach dem Kursbesuch um einiges geringer. Diese Rückmeldungen verdeutlichen die Effizienz und Notwendigkeit des Kurses.

Unangekündigte Stationsszenarien: Der dritte Baustein ist die Umsetzung des Erlernten im eigenen Bereich. Um hier der Schulung die nötige Realitätsnähe zu verleihen, gibt es folgende Besonderheiten: Die Teilnehmer wissen beim morgendlichen Dienstantritt nicht, dass sie im Laufe des Tages Teilnehmer einer simulierten Notfallsituation werden. Anders als beim ALS-Training findet die Schulung nicht im Simulationszentrum, sondern vor Ort auf der Station statt – in bekannten Räumlichkeiten, mit bekanntem Equipment.

Die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Uniklinik Köln unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Mallman war intensiv am Aufbau dieses Projektes beteiligt und ist eine der ersten Kliniken, die diesen Baustein nutzt. Voraussetzung für die Notfallsimulation ist ein Basisreanimationskurs für die Pflegefachpersonen und Stationsärzte im Simulationszentrum.

Am Tag der eigentlichen Übung wissen lediglich die Teamleitung der Station und der Oberarzt, über den fingierten Notfall Bescheid. Ein gezielt freigehaltener Raum dient als Schauplatz der Übung. Die Fallbeispiele haben einen geburtshilflichen Hintergrund, so beispielsweise ein eklamptischer Anfall oder die Behandlung einer akuten postpartalen atonen Nachblutung.

Oft ist den Ärzten und Pflegenden ein wenig mulmig bei dem Gedanken daran, vielleicht in eine Fortbildungssituation zu geraten. Das ist verständlich, aber der Benefit durch die unangekündigten Stationsszenarien ist unumstritten. Im Nachhinein sind die Teilnehmer sehr dankbar für die Möglichkeit, denn wie beim Advanced Life Support haben diese Szenarien nicht im geringsten den Charakter einer Prüfungssituation oder einer Bloßstellung von Kollegen. Ganz im Gegenteil, denn das Debriefing besteht stets aus positiven Handlungen und aus Verbesserungs-Tipps, welche im realen Notfall helfen können. Die gleiche Gruppe „spielt" dann einen zweiten Fall durch und kann die Tipps aus dem ersten Fallbeispiel umsetzen. Die Verbesserungen sind enorm und die Teilnehmer gehen gestärkt aus der Situation hervor.

Diese Szenarien helfen aber auch, ungünstige Abläufe der Stationsmitarbeiter aufzudecken und Lösungsansätze zu entwickeln, die dann bei einem echten Notfall greifen können. So fiel beispielsweise bei einer Übung auf, dass die Helfer nur um Handschuhe zu organisieren, den Patienten alleine lassen mussten. Heute liegen Handschuhe in jedem Zimmer.

Ferner war der Notruf an den behandelnden Stationsarzt schwierig, da nach Absetzen eines Funkrufs am Telefon auf Rückruf gewartet werden musste. Diese Erkenntnis führte dazu, dass ein Notfallfunk etabliert wurde, der keinen Rückruf des Arztes erfordert. Im Simulationszentrum wären diese klinikspezifischen Gegebenheiten nicht erkannt worden.

Übungen haben positiven Effekt auf Praxis
Seit April 2011 hat die Uniklinik Köln das Szenarientraining und die Reanimationskurse an vielen regelmäßigen Schulungsterminen etabliert. An einer Reanimationsschulung haben im Jahr 2012 insgesamt 809 Personen aus der Uniklinik Köln teilgenommen. Dies beinhaltet sowohl den 90-minütigen Basisreanimationskurs als auch den erweiterten Reanimationskurs. 2013 waren es schon 1047 Personen. Eine Steigerung von 23 Prozent zum Vorjahr. Der größte Effekt zeigt sich im alltäglichen Arbeiten: Notfallsituationen werden schneller erkannt, die Abläufe gestalten sich flüssiger. Viele Teilnehmer beschreiben in späteren Gesprächen, dass sie sich in diesen Momenten an die im Kurs vermittelten Take-Home-Messages erinnern. Denn diese werden ausführlich in den Schulungen ständig  wiederholt. Die prägnanteste davon ist wohl: Drücken, drücken, drücken!

 

Autor:

Alexander Tittel, Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege, Mitarbeiter des KISS
Uniklinik Köln
Kerpener Straße 62, 50937 Köln
alexander.tittel@uk-koeln.de

 

Co-Autoren:

Gregor Schulz, Fachkrankenpfleger für Anästhesie und Intensivpflege, Rettungsassistent
Uniklinik Köln
Kerpener Straße 62, 50937 Köln
gregor.schulz@uk-koeln.de

Dr. h.c. (RUS) Christoph Stosch, MME, Akademische Leitung des KISS

Werner Barbara, Intensivpflegemanager

Stefan Reimers, Diplom-Pflegewirt (FH), Intensivpflegemanager

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