Claus Fussek, Deutschlands bekanntester Pflegekritiker, setzt sich seit mehr als drei Jahrzehnten unermüdlich für die Belange alter und hilfsbedürftiger Menschen ein. Station24 hat den streitbaren Sozialarbeiter exklusiv in München besucht.
Was für ein Chaos! – das ist der erste Gedanke, der sich einem aufdrängt, wenn man das Büro von Claus Fussek betritt. Auf dem Schreibtisch türmen sich Unmengen von Schriftverkehr, Zeitungsartikel, Briefe und Zeitschriften, die Regalwände sind vollgestopft mit Dutzenden von Aktenordnern. An den Wänden, wo noch etwas Platz ist, hängen Bilder vom mittlerweile verstorbenen Kabarettisten Dieter Hildebrandt, Fanartikel vom Fußballverein 1860 München und Seniorenporträts in Schwarz-weiß.
„Treten Sie ein – willkommen in meinem Pflegebüro", sagt ein freundlicher, gut gelaunter Claus Fussek. „Schauen Sie sich ruhig um – hier finden Sie 50.000 Hilferufe und Schicksale aus dem bundesdeutschen Pflegealltag, die sich in den vergangenen 25 Jahren angesammelt haben."
Jeden Tag Anrufe, Briefe, Faxe, Mails
Kaum hat uns der aus Zeitungen und Fernsehen bekannte Pflegekritiker Kaffee eingeschenkt, klingelt das Telefon. „Herr Fussek, ich muss Sie unbedingt sprechen!", sagt eine aufgeregt klingende Stimme am anderen Ende der Leitung. „Vorsicht, ich stelle auf laut, wenn es Sie nicht stört – ich habe Pflegejournalisten zu Gast", sagt Fussek. „Tun Sie das, vielleicht können die ja was ändern", erwidert die Frau am Telefon. Empört berichtet die engagierte Betreuerin einer hilflosen Heimbewohnerin, dass die Pflegenden „vor und nach und rückwärts" dokumentieren, Trinkprotokolle fälschen, sich nicht richtig kümmern. „Ich bin mit meinem Latein am Ende", sagt die Frau, „aber ich gebe nicht auf!" – „Nein, das müssen Sie auch nicht", beruhigt Fussek mit locker und entspannter Stimme. „Wir werden sehen, was sich tun lässt."
Zwei Minuten später klingelt das Telefon erneut. „Fussek, Grüß Gott?" – „Ach Herr Fussek, gut, dass ich Sie erreiche", sagt eine weitere Betroffene. Auch sie willigt ein, das Gespräch auf laut zu schalten. „Wie oft darf mein Mann zur Toilette gehen?", will die Frau wissen. Laut Pflegende würde zweimal pro Schicht reichen. Außerdem trage er ja eine Vorlage. „Konfrontieren Sie die Mitarbeiter", sagt Fussek mit ernstem Ton. „Natürlich hat Ihr Gatte das Recht, so oft auf die Toilette zu gehen, wie er will. Aber da werden Sie sich sicher einig werden. Wenn nicht, melden Sie sich wieder bei mir." – „Danke, Herr Fussek, vielen Dank, dass Sie einem zuhören", so die Stimme am Telefon. Fussek legt auf und trinkt einen Schluck Kaffee. Er bietet uns – passend zu München – eine Brezn an. „Sehen Sie", sagt Fussek. „So läuft das hier Tag für Tag, jeden Tag Anrufe, Briefe, Mails und Faxe – seit vielen Jahren geht das nun schon so."