Marcus Klug hat im Auftrag des Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD) an der Universität Witten/Herdecke das kostenlose E-Book „Und wer fragt nach mir? - Selbstmanagement in der Versorgung von Menschen mit Demenz" für professionelle Pflegekräfte und Entscheider aus dem Gesundheitssektor geschrieben. Es geht um die Frage, welche Erkenntnisse und Methoden aus Management, Psychologie und Hirnforschung dabei helfen, für mentale Entlastung in einem hochgradig herausfordernden Arbeitsumfeld wie der Pflege von Menschen mit Demenz zu sorgen.
Das E-Book „Und wer fragt nach mir? - Selbstmanagement in der Versorgung von Menschen mit Demenz" ist ein gutes Beispiel für digitalen Wissenstransfer. Das kostenfreie E-Book mit weiteren Videos und zahlreichen Links stellt eine Essenz aus Erkenntnissen aus der modernen Management-Literatur und Psychologie zu besonderen Herausforderungen in der modernen Arbeitswelt dar. Ich habe mit diesem E-Book versucht, einen Transfer zu vollziehen.
In der modernen Arbeitswelt von heute werden vielfach immer höhere Ansprüche an einzelne Personen gestellt; es kommt zur Verdichtung von Arbeit, zur fortschreitenden Flexibilisierung und nicht selten zu häufigen Unterbrechungen (Rosa 2005; Sennett 2007). Das stellt unsere mentalen Kompetenzen vor schwierigen Aufgaben. Erkenntnisse aus Management und Psychologie zu Fragen rund um die mentale Beanspruchung in flexibilisierten Arbeitsumfeldern lassen sich zum Teil ebenso für Lösungen einzelner Probleme in der professionellen Versorgung von Menschen mit Demenz auf Seiten der Pflegenden nutzen, so meine Beobachtung, wenn es um Entlastung geht.
Wozu Selbstmanagement in der Pflege?
Bemerkenswerterweise zeigen sich in der (Demenz-) Pflege viele Probleme der modernen Arbeitswelt besonders deutlich. Zu dieser Beobachtung gelangte ich während der Recherche zu meinem Buch „Und wer fragt nach mir? - Selbstmanagement in der Versorgung von Menschen mit Demenz" für das Dialog- und Transferzentrum Demenz (DZD).
Es wird beispielsweise immer wieder in der Ratgeberliteratur empfohlen, sich in der Pflege von Menschen mit Demenz ausreichend Zeit zu nehmen, um zuzuhören, wofür im Tagesgeschäft aber häufig überhaupt keine Zeit bleibt. Oder es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass Demenzkranke Routine und Sicherheit brauchen, feste Bindungsstrukturen (Stuhlmann 2012), den Job bestimmen aber Schichtarbeit, Teilzeit, ständige Unterbrechungen und ausufernde Dokumentationspflichten, die aktuell 20 bis 30 Prozent der Arbeitszeit kosten. Der erhöhte Zeit- und Leistungsdruck und der häufigere Wechsel von Arbeitsverhältnissen führt außerdem dazu, dass kaum noch eine Identifikation mit einer einzelnen Organisation stattfinden kann, für die man arbeitet (Gallup-Studie 2013). Man kann sich dann umgekehrt die Frage stellen, wie angesichts solcher Entwicklungen verlässliche Bindungsstrukturen garantiert werden sollen?
All diese Anforderungen und Strukturen führen zu einer deutlich erhöhten mentalen Beanspruchung auf Seiten der professionell Pflegenden und jener Personen, die eine leitende Position einnehmen. Der passende Ausgleich, Selbstmanagement und mentale Gesundheit werden dementsprechend immer wichtiger.
Überlastung in der Pflege: Empirische Beobachtungen
In der Versorgung und Betreuung von pflegebedürftigen Menschen ist die Anzahl an Patienten und Bewohnern, die hierzulande pro Tag im Krankenhaus oder im Pflegeheim versorgt werden müssen, überdurchschnittlich hoch. Der Personalschlüssel liegt hierzulande in etwa bei eins zu zehn. Eine professionelle Pflegekraft kümmert sich also im Durchschnitt im Pflegeheim um zehn pflegebedürftige Personen. Dieser Befund wird durch die empirische Forschung belegt.
So wissen wir beispielsweise aus der NEXT-Studie (NEXT-Studie 2005) – eine großangelegte empirische Studie zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Pflegeberuf –, dass in Deutschland vor allem die quantitativen Anforderungen an professionelle Pflegepersonen im Vergleich zu anderen Ländern in Europa überdurchschnittlich hoch sind. Dieser Befund bezieht sich insbesondere auf die Anforderungen in Alten-/Pflegeheimen (NEXT-Studie 2005: 53). Die quantitativen Anforderungen führen auf der anderen Seite zunehmend zu Burnout, steigenden Fehlzeiten und zu der vermehrten Absicht, das Berufsfeld Pflege zu verlassen.
Übertragung von Erkenntnissen und Methoden aus Psychologie und Management
In meinem E-Book suchte ich zunächst ganz bewusst nach Erkenntnissen und Methoden, die nicht primär aus der Pflege stammen, sondern aus Bereichen, in denen es um extremere Formen von Arbeitsbelastung und der Frage geht, wie übermäßige Belastung kognitiv gelöst werden kann. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass ich nicht aus der Pflege komme, sondern hauptberuflich mit Kommunikation und sozialen Medien zu tun habe. Man kann sich diese Medien wie ein überbordendes Netz vorstellen. Schnell läuft man hier Gefahr, permanent abgelenkt und überfordert zu werden. Immer wieder lautet daher die Frage: Was ist der Fokus?
Auch die Versorgung und Betreuung von Menschen mit Demenz kann als überbordendes Netz betrachtet werden – bestehend aus unzählig vielen Anforderungen, nicht kalkulierbaren Überraschungen und häufig auftretenden Überforderungsgefühlen. Der Psychologe Hans Wolfgang-Hoefert spricht deshalb von einem „anarchistischen Element", welches mit üblichen Regeln und Routinen in der Pflege nicht vereinbar ist. „Insofern", so Hoefert resümierend, wird vom Personal ein hohes Maß an Flexibilität und Geduld gefordert" (2011: 119). Dies gilt auf besondere Weise für die sogenannten Herausfordernden Verhaltensweisen, wie Apathie, Aggression und Schreien und Rufen, in der Pflege von Personen mit Demenz. Aber wie geht man mit all diesen Herausforderungen mental um – und zwar als pflegende oder leitende Person?
Psychologie und Management liefern dazu einige bemerkenswerte Antworten, denen ich in meinem E-Book näher auf den Grund gegangen bin. Ich habe zudem versucht, all diese Erkenntnisse in einer Art zu vermitteln, die möglichst gut nachvollziehbar und anschaulich ist. Dementsprechend existieren in meinem E-Book auch zahlreiche Beispiele aus der Praxis: insbesondere angrenzend an die Versorgung und Betreuung von Menschen mit Demenz.
Im zweiten Teil meines Buches stelle ich schließlich zwei moderne Selbstmanagement-Methoden schrittweise vor. So gehe ich beispielweise genauer auf die Selbstmanagement-Methode „Getting Things Done" (GTD) von David Allen ein (deutsch: „Wie Sie die Dinge besser geregelt bekommen"), bei der das Ziel darin besteht, den Alltag im Kopf besser zu organisieren, dass sich die Gedanken nicht ständig überlappen, dass unerledigte Aufgaben die aktuellen Anforderungen nicht stören.
Diese Methode hat sich in der Praxis vielfach bewährt; sie wird mittlerweile weltweit von gestressten Managern und Kreativen erfolgreich angewendet, um für mentalen Ausgleich zu sorgen. Und was für gestresste Manager oder Kreative entwickelt worden ist, passt zum Teil auch für professionell Pflegende oder für leitende Personen aus dem Gesundheitssektor, die viele unterschiedliche Aufgaben unter einen Hut bekommen müssen.
Ich habe also versucht, in meinem E-Book an dieser Schnittstelle den Transfer zu vollziehen. Der andere Aspekt, der mir wichtig war, ist der Beziehungsaspekt. Denn ohne Beziehungen ist gute Pflege überhaupt nicht denkbar. Dabei sollte man jedoch nicht vergessen: Nur wer zu sich selbst eine gute Beziehung hat, kann auch zu anderen Personen, die gepflegt werden, eine gute Beziehung haben. Meine Erfahrung aus langjähriger Selbstmanagement- und Veränderungspraxis lautet allerdings, dass sich viele Personen gar nicht besonders gut selbst kennen. Die Frage nach den eigenen Werten, Gewohnheiten und dem Charakter ist aber meine Meinung nach von elementarer Bedeutung, will man nicht auf längere Sicht im häufig stressigen Berufsalltag von heute untergehen und sich erfolgreich gegen zahlreiche Widerstände behaupten.
Im ersten Teil meines Buches wird daher auch der Blick auf die eigene Persönlichkeit geworfen: Welche Werte sind mir wichtig? Was schätze ich an mir und anderen Personen? Und was sagt die moderne Persönlichkeitspsychologie zu derartigen Fragen?
Abgerundet wird das kostenfreie E-Book „Und wer fragt nach mir? Selbstmanagement in der Versorgung von Menschen mit Demenz" mit einem Umfang von etwa 100 Seiten in der Online-Version (Free PDF) durch ein Verzeichnis mit Lesezeichen, weiterführenden Links und Materialien zum Selbstmanagement, Literaturtipps, sowie durch ein zusätzliches YouTube-Video, in dem der Demenzexperte Christian Müller-Hergl zum Aspekt der Selbstpflege interviewt wird.
Hier der Link zum E-Book: http://dzd.blog.uni-wh.de/das-e-book-und-war-fragt-nach-mir-selbstmanagement-in-der-versorgung-von-menschen-mit-demenz-download/#more-8336
Weiterführende Literatur:
Allen, D. (2011): Ich schaff das! Selbstmanagement für den beruflichen und privaten Alltag. Offenbach: Gabal Verlag.
Babauta, L. (2010): A simplicity manifesto in the age of distraction. Free Version; abrufbar unter folgender Online-Quelle: <http://focusmanifesto.s3.amazonaws.com/FocusFree.pdf> [17.09.2014]
Gallup-Studie (2013): Jeder sechste Arbeitnehmer hat innerlich gekündigt. Abrufbar unter folgender Online-Quelle: <http://www.download.ff-akademie.com/Gallup-Studie.pdf> [17.09.2014]
Hoefert, H.-W. (2011): Umgang mit „schwierigen" Patienten. In: Hoefert, H.-W. (Hrsg.): Selbstmanagement in Gesundheitsberufen. Bern: Verlag Hans Huber, S. 97-125.
Junghans, G.; Morschhäuser, M. (2013): Immer schneller, immer mehr. Psychische Belastung bei Wissens- und Dienstleistungsarbeit. Heidelberg: Springer.
Müller, B. H. (2005): Auswertung der ersten Befragung der NEXT-Studie in Deutschland. Abrufbar unter folgender Online-Quelle: <http://www.next.uni-wuppertal.de> [17.09.2014]
Rosa, H. (2005): Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt: Suhrkamp.
Sennett, R. (2007): Der flexible Mensch. Berlin: Berlin Verlag.
Strassmann, B. (2014): Schluss mit Schwester! Abrufbar unter folgender Online-Quelle: <http://www.zeit.de/2014/12/kopfgeld-pflegepersonal-klinik> [17.09.2014]
Stuhlmann, W. (2012): Bindungssicherheit: ein Grundbedürfnis bei Demenz. Abrufbar unter folgender Online-Quelle: <http://www.alzheimer-nrw.de/files/downloads/Bindungssicherheit.pdf> [18.09.2014]
Zimber, A. (2013): Selbstmanagement und Belastung in der Altenpflege. In: Hoefert, H.-W. (Hrsg.): Selbstmanagement in Gesundheitsberufen. Bern: Verlag Hans Huber, S. 155-169.