• Praxis
Nonverbale und emotionale Kommunikation

Heilsame Berührung

Erfahrungsberichte von jungen Gesundheits- und Krankenpflegeschülern zeigen, wie wichtig und beruhigend sanfte Berührungen für Patienten sein können.

Stephanie Galmbacher über ihre Erfahrungen mit einer 80-jährigen Patientin, die zeitweise desorientiert war und unter Anämie litt:

Dieser Erfahrungsbericht entstand während eines Einsatzes im Krankenhaus auf einer internistischen Station. Die betroffene Patientin wurde aufgrund einer Anämie (Blutarmut) aufgenommen und war in ärztlicher Behandlung. An einem Abend während des Spätdienstes klingelte sie und klagte über Schmerzen im linken Brustbereich, in Herzgegend. Sofort riefen wir den Arzt an, der ein EKG verordnete. Während wir auf die Dame vom EKG warteten steigerte sich die Patientin zunehmend in die Situation und die Schmerzen hinein, sie bekam eine Dyspnoe (Atemnot). Da wir nicht mit dem normalen Stationsablauf weiter machten, setzte ich mich an ihr Bett, begann nicht zu reden, sondern nahm einfach nur ihre Hand und hielt sie fest. Ich merkte nach kurzer Zeit, dass die Patientin immer ruhiger und ihre Atmung normaler wurde. Das war für mich das beste Beispiel, dass man mit Zeit und einer bewussten Berührung Patienten Gutes tun kann.

 

Tanja Hoffmann über ihre Erfahrungen mit einer 86-jährigen Patientin, die geistig fit und orientiert war, aber an einer Blasen-Darmfistel litt, die mit einer konventionellen OP (mit Schnitt) behoben wurde:

Nach der OP kam es bei der Patientin zur Wundinfektion. Eitriges Sekret kam beim Drücken an der Klammernaht durch. Nach zwei Beobachtungstagen und keinerlei Verbesserung wurde von den Ärzten die Eröffnung der Wunde beschlossen. Sie wollten sich einen Überblick verschaffen, ob die Faszie noch steht. Falls dies nicht der Fall gewesen wäre, hätte nochmals operiert werden müssen. Meine Patientin sagte mir, dass sie Angst vor der Eröffnung habe. Ich erklärte ihr, dass sie davor Schmerzmedikamente bekommen würde und sie gerne meine Hand währenddessen halten könne. Sie strahlte mich an und ließ auch meine Hand die ganze Zeit über nicht los. Ich merkte über ihren Händedruck wie angespannt sie war, wann sie Angst hatte und wie sie wieder lockerer wurde. Jedes Mal, wenn sie fest meine Hand drückte, streichelte ich mit meinem Daumen behutsam ihren Handrücken. Sie sollte spüren, dass ich direkt bei ihr war, dass ich mitfühlte. Nach der Tortur und dem Anlegen des Vakuum-Verbandes hielt sie immer noch meine Hand fest. Als die Ärztin aus dem Zimmer war, bedankte sich die Patientin bei mir und ich musste sie darauf aufmerksam machen, dass sie nun meine Hand loslassen könne. Sie und ich mussten kurz darüber lachen, denn sie dachte schon nicht mehr daran, dass sie mich immer noch an der Hand hielt. Ich finde, dass in so einer Situation die Berührung viel mehr Wert ist, als jemandem die ganze Zeit gut zu zureden. In solchen Momenten denke ich nicht, dass der Patient großen Wert auf irgendwelche Worte legt oder bewusst zuhören kann, da er gedanklich ganz woanders ist.

 

Ebenfalls Tanja Hoffmann über ihre Erfahrungen mit einer 78-jährigen Patientin mit beginnender Demenz, dehydriert und kachektisch. Sie litt unter einem Darmprolaps:

Eine freundliche, zierliche Patientin kam zu uns auf Station. Sie war verwirrt und desorientiert. Aufgrund des Darmprolaps verspürte sie ständig den Drang, auf Toilette gehen zu müssen. Die Patientin wusste nicht, wie ihr geschah, sie verlor ständig flüssigen Stuhlgang, da sie abführende Medikamente wegen der bevorstehenden Koloskopie am nächsten Tag einnehmen musste. Verwirrt und unsicher klingelte die Patientin immer wieder nach dem Personal, wenn der Boden wieder mal mit Blut und Stuhl betropft war, und sie nicht mehr wusste, wo sie war oder was sie hier überhaupt machte. Eine Pflegende handhabte es so, ihre Fragen von der Tür aus zu beantworten. Einmal sagte die Patientin zu ihr: „Erheben sie nicht so ihre Stimme!" Dies war nicht der Fall, doch die überforderte Patientin nahm es so wahr. Als ich dann beim nächsten Klingeln zu der Patientin ins Zimmer kam und das Geschehen auf dem Boden sah, ging ich erst einmal auf sie zu. Nun stand ich zu ihrer Linken, legte meinen Arm um ihre Schulter und beruhigte sie, da sie sich ständig entschuldigte. Die ganze Sache, die sie ja so gar nicht verstand, machte sie noch unruhiger als sie ohnehin schon war. Dank der verständnisvollen Berührung ihrer Schulter und der Erklärung, dass sie für die jetzige Situation nichts könne, ließ sie sich beruhigen. Es waren sinngemäß dieselben Worte, die auch die Pflegende vor mir an sie gerichtet hatte. Doch der große Unterschied war wohl die Berührung, die sie nicht falsch oder negativ hat interpretieren können.

 

Erfahrungsbericht einer Patientin anhand eines Interviews:

Dieses Interview entstand während eines Einsatzes im Rahmen unserer Ausbildung in dem Bereich der Sozialstation. Es handelt sich um eine 60 Jahre alte Patientin die an Multipler Sklerose erkrankt ist. Sie ist auf die Hilfe von Gesundheits- und Krankenpfleger angewiesen, da sie aufgrund ihrer Krankheit seit kurzer Zeit an den Rollstuhl gebunden ist und deswegen die Unterstützung bei der täglichen Grundpflege braucht. Die Patientin benötigt folgende Hilfe: Waschung der Füße, Beine und des Intimbereichs im Bett, Unterstützung beim waschen des Rückens, An- und Auskleiden sowie Bett-Rollstuhl-Transfer.

Wie empfanden Sie die Begrüßung? Ist Ihnen etwas besonderes im Bezug auf Berührungen aufgefallen?
„Die Begrüßung von Ihnen war sehr herzlich. Sie sind sehr auf mich eingegangen und haben sich sehr höflich bei mir vorgestellt. Natürlich war es fremd, jedoch war ein Stück Vertrautheit von Anfang an gegeben, da Sie mir gleich auch etwas von sich erzählten. Bei den ersten Berührungen ist mir aufgefallen, dass Sie sich nicht davor scheuten, beispielsweise meine Schulter beim Reden zu berühren."

Wie war es für Sie, als für Sie klar war: „Jetzt muss ich gepflegt werden, jemand anderes kommt in Kontakt mit meinem Körper, sogar mit der intimsten Zone"?

„Für mich war es ein Schock. Ich wusste zwar von Anfang an, als die Diagnose „Multiple Sklerose" gestellt wurde, dass ich irgendwann im Rollstuhl sitzen würde und konnte mich mit diesem Gedanken eine Zeit lang befassen, aber als es dann wirklich soweit war, brach im ersten Moment eine Welt für mich zusammen. Es war schrecklich."

Wie können Sie mittlerweile damit umgehen, dass Sie von anderen Leuten gepflegt werden?
„Nach zwei Wochen war das anfängliche Schamgefühl etwas abgeklungen. Natürlich ist es jedes mal noch komisch, wenn ich weiß ‚Oh, wir haben 8 Uhr, gleich kommen sie, um mich zu pflege‘, aber es ist weitaus nicht solch ein Unruhegefühl für mich, wie es anfangs war. Alle Pflegenden bemühen sich, es mir so angenehm wie möglich zu machen."

Haben sie eine gewisse Grenze bei der Pflege, die nicht überschritten werden darf?

„Eigentlich habe ich keine besonderen Ansprüche. Nur eine Sache habe ich mir gewünscht, als ich wusste, ab jetzt kommt jeden morgen die Sozialstation. Ich wollte nicht von einem Pfleger morgens gewaschen werden. Mir machte es nichts aus, wenn es hieß: „So Frau M., heute Abend kommt der Pfleger Jochen vorbei und wird Sie dann wieder zurück ins Bett legen." Das war für mich kein Problem. Wie schon gesagt, jeder einzelne von dem Team war sehr bemüht, es mir recht zu machen."

Wie empfanden Sie die Berührungen von mir während der Grundpflege?
„Auch Sie waren sehr bemüht auf mich einzugehen und anfangs erst zurückhaltend. Ich muss sagen, am ersten Tag war es für mich noch komisch. Ich kann nicht sagen, ich habe mich vor Ihnen geschämt, aber es war doch ein Unwohlsein da, was aber bei Ihren anderen Kollegen anfangs auch der Fall war. Es war für mich wieder etwas neues, dass eine Schülerin der Gesundheits- und Krankenpflegeschule mit dabei war, die ich noch nicht kannte. Ich fand es sehr toll, dass Sie so auf mich eingegangen sind. Nach einigen Gesprächen während der Grundpflege und des Austauschens von beiden Seiten, legte sich auch mein anfängliches Unwohlsein gegenüber Ihnen ab. Sie hatten keine Scheu gezeigt, mich zu berühren und haben mich bewusst und genau richtig berührt. Es war immer eine lockere Stimmung zwischen uns und ich hatte das Gefühl, dass Sie bei jedem Schritt den sie getan haben, wussten was Sie gerade machen. Es war toll für mich, dass Sie mir mit einem Streicheln über die Schulter zum Beispiel gezeigt haben, dass ich etwas gut gemacht habe oder Sie mir damit auch das Gefühl gegeben haben, dass Sie mich mögen."


Berührungen zutrauen

Das Thema „Berührungen in der Pflege" ist nahezu unerschöpflich. Mit unseren Erfahrungen möchten wir Anregungen geben, Berührungen im pflegerischen Alltag bewusst auszuführen, sie gezielt und therapieunterstützend einzusetzen, sodass wir und unsere Patienten sich dabei wohl fühlen und wir ihnen Sicherheit und Fachkompetenz entgegen bringen können.

Wir sollten darauf achten, dass wir nicht zu „Super-Berührern" werden, die alles, jeden, in jeder Situation und Lebenslage berühren können, sondern eher zu „Maß-Berührern", die genau wissen, was sie, wen sie anfassen können und in welchen Situationen sie anfassen können. Zudem sollten wir wissen, wie weit unsere Kompetenz, unser Sachverstand und unser Einfühlungsvermögen es zulassen, zu berühren.

Keinesfalls sollten wir Berührungen ausführen wenn wir uns dabei unwohl, angewidert oder unsicher fühlen. Dies kann sich schnell auf unsere Patienten, deren Angehörige und nicht zuletzt auch auf uns und unser Kollegium übertragen. Wir müssen uns Berührungen zutrauen, uns vorstellen, sie ausführen zu können und noch wichtiger, sie ausführen zu wollen.

Was nützt es, wenn eine Pflegefachperson alles und jeden berühren kann, sich dabei aber nicht wohlfühlt oder gar angeekelt ist?
Es besteht zum Beispiel die Möglichkeit in unseren Stationsteams herauszufinden, welche unserer Kollegen offener für die Arbeit mit Berührungen sind, Freude dabei empfinden, und wo die Vorlieben von jedem einzelnen liegen. Wir glauben, dass wir damit unseren Arbeitsalltag erleichtern, unsere Fachkompetenz, unser Pflegebewusstsein und die Verantwortungen, die dahinter verborgen sind, besser wahrnehmen können. Somit können wir in Zukunft manche Dinge besser verstehen, manchen Arbeitsablauf angenehmer gestalten und uns und andere jeden Tag auf das Neue für die Pflege begeistern.

 

Diese Ausarbeitung ist Teil einer schriftlichen Arbeit, die im Rahmen der Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger entstanden ist.

Bindungszentrum Gesundheit Rhein-Neckar GmbH
Stephanie Galmbacher, Tanja Hoffmann, Christian Jaksch
Heidelberger Straße 1a
69168 Wiesloch

 

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