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Big Data für ein längeres Leben

Krankenkassen, Klinken und Arztpraxen sitzen zusammen auf einem riesigen Pool an Patientendaten. Man stelle sich vor, all diese Informationen - jeder Befund, jede Verordnung, jede Aktennotiz zu Übergewicht oder Nikotingenuss - würden in einer zentralen Datenbank gesammelt. Dort stünden sie nicht nur den wissenschaftlichen Diensten der Kassen zur Verfügung, sondern auch Universitätskliniken, privaten Versicherern oder Pharmafirmen. Undenkbar? Dann lohnt der Blick nach Großbritannien.

2011 hatte Premierminister David Cameron dort die Einführung von „care.data" angekündigt, einem Projekt unter Federführung des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS. Im Dienste der Wissenschaft sollen die Patientendaten aus sämtlichen Hausarztpraxen im Land zentral gespeichert und mit den bereits seit 1989 erhobenen Daten aus Krankenhäusern zusammengeführt werden.

So werde jeder Brite zu einem „Forschungspatienten", der mithelfe, Krankheiten zu besiegen, warb Cameron für das Projekt. Denn der Zugriff auf die größeren Datenmengen ermögliche ganz neue und bessere Studien, die letztlich dazu beitrügen, dass Patienten schneller von neuen Therapien profitierten – und Großbritannien nebenbei zur weltweiten Nr. 1 im Life Science Sektor aufsteige.


Bessere Information bedeutet bessere Versorgung

Der NHS selbst verspricht sich von der umfassenden Datensammlung vor allem, seine Ressourcen besser verteilen und die Qualität der medizinischen Versorgung insgesamt verbessern zu können, gemäß dem Motto: „Better information means better care".


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Trotz der hehren Ziele und obwohl die Briten nicht gerade für ihre übermäßige Sensibilität in Sachen Datenschutz und Privatsphäre bekannt sind, regte sich von Beginn an Widerstand gegen „care.data" - und zwar, ähnlich wie in Deutschland im Fall der elektronischen Gesundheitskarte, vor allem aus den Reihen der Ärzteschaft sowie von Daten- und Verbraucherschützern.

So richtete sich die Kritik zum einen gegen die zentrale Archivierung, aber auch gegen die sogenannte Pseudonomysierung der Daten. Dabei werden bestimme Identifikationsmerkmale wie Name und Adresse ausgespart, andere Informationen wie Geburtsdatum, Geschlecht und Postleitzahl aber nicht. Dadurch ist anders als bei der vollständigen Anonymisierung die nachträgliche Zuordnung einzelner Datensätze zu bestimmten Patienten möglich.

Dass kann entweder unter Verwendung einer Art Generalschlüssel geschehen, den der NHS schon allein benötigt, um die Daten aus den Hausarztpraxen und den Kliniken zusammenzuführen. Womöglich ist es aber auch Firmen oder Einrichtungen möglich, wenn sie die aus „care.data" erhaltenen Informationen mit anderen Datensätzen abgleichen oder ergänzen.

Denn nicht nur die Institute des NHS sollen Zugriff auf „care.data" haben, sondern gegen eine „Bearbeitungsgebühr" auch gemeinnützige oder private Forschungseinrichtungen und – unternehmen, also zum Beispiel Pharmakonzerne oder gar Versicherungsunternehmen. Ein kommerzielles Interesse an der Datenweitergabe streiten Regierung und NHS zwar ab, britische Zeitungen berichten aber von Gebühren im drei- bis fünfstelligen Pfundbereich je nach Datenmenge.

Für weiteren Widerstand sorgte die Regelung, dass Patienten dem Absaugen ihrer Daten nicht zustimmen müssen, sondern lediglich das Recht zum „opt out", zur Teilnahmeverweigerung haben. Wer sich nicht wehrt, ist also automatisch mit dabei, und selbst wer von seinem „opt out"-Recht Gebrauch macht, kann sich nicht sicher sein, wo seine Daten künftig liegen. Denn noch ist nicht ganz klar, ob die Patienten die Übertragung ihrer Daten an „care.data" oder nur die Weitergabe ihrer Datensätze aus dem NHS-Archiv an Dritte verweigern dürfen.


Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

Wegen der wachsenden Kritik an dem Big Data-Projekt wurde der Rollout im Frühjahr 2014, kurz vor dem geplanten Start, zunächst um ein halbes Jahr verschoben. Die Zeit wollte der NHS nutzen, um die Öffentlichkeit besser zu informieren und für mehr Zustimmung zu sorgen. Aber bereits im Mai war auch der neue Rollout wieder vom Tisch: Statt sich künstlichen Deadlines zu unterwerfen, werde man „care.data" erst dann einführen, wenn sicher sei, dass der Prozess stimme, hieß es aus dem NHS-Hauptquartier. Bis dahin soll jetzt in einem Modellversuch mit mehreren hundert Hausärzten, „getestet, evaluiert und verfeinert" werden, ehe weitere Entscheidungen fallen.

Dass „care.data" in der ein oder anderen Form kommt, scheint aber nur eine Frage der Zeit. Denn während der NHS testet, evaluiert und verfeinert – und vermutlich wartet, dass sich die Wogen glätten -, arbeitet das britische Gesundheitsministerium bereits an einer Neuauflage unter fremder Flagge.

Der „Accredited Safe Havens Scheme", kurz „Ash", sieht vor, im Grunde dieselben Daten wie bei „care.data" statt in einer zentralen Datenbank in mehreren regionalen Speicherstätten zusammenzuführen. Zwar haben Initiatoren und Befürworter strengere Sicherheitsauflagen versprochen. Kritiker aber, zu denen auch die von der Regierung eingesetzte Patientenvertretung Healthwatch England zählt, fürchten, dass „Ash" lediglich „die schlimmsten Aspekte von care.data repliziert".

 

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