Immer mehr Patienten in Krankenhäusern sind muslimischen Glaubens. Wenn Sie einen seelischen Beistand brauchen, steht Ihnen am Uniklinikum Bonn Tayfun Tilkicik zur Seite. Wir sprachen mit dem Klinikseelsorger über sein ehrenamtliches Engagement und die Herausforderungen der Kommunikation mit betroffenen Patienten.
Herr Tilkicik, wie wird man eigentlich islamischer Krankenhausseelsorger?
In Deutschland gibt es verschiedene Institute, die die Ausbildung zum islamischen Krankenhausseelsorger anbieten. Ich selber war elf Monate am Mannheimer Institut für Integration und Interreligiösen Dialog und habe dort verschiedene Lehrgänge, zum Beispiel zum Thema Kommunikation, besucht.
Und warum?
Für mich ist ein ganzheitlicher Ansatz bei der Patientenversorgung von zentraler Bedeutung. Der Mensch besteht aus Körper, Geist und Seele. Jeder Bereich hat seine eigenen Bedürfnisse. Die Seele, unabhängig von der Religion und Herkunft des Menschen, möchte umsorgt und versorgt werden. Insbesondere in schwierigen Situationen, bei existenziellen Erfahrungen, in diesem Fall als Patient oder Angehöriger, ist der Bedarf an Seelsorge beziehungsweise seelischen Beistand sehr hoch.
Wann werden Sie aktiv?
Ein islamischer Seelsorger kommt zum Patienten oder Angehörigen, wenn der Betroffene muslimisch ist und sich religiöse Rituale wünscht. Ich selbst war bereits in der islamischen Jugendhilfe engagiert.
Und dann wollten Sie Ihre dort gewonnenen Erfahrungen auch im Klinikalltag einbringen?
Ja. Am Klinikum fiel mir schnell der wachsende Bedarf an geistlicher Begleitung auf. Viele religiöse Bedürfnisse wurden früher privat abgedeckt. Doch die Familien können das nicht immer leisten – sei es Zeitmangel oder eine zu große Entfernung. Diese Lücke versuche ich zu schließen.
Wie hat das Uniklinikum auf Ihre Pläne, islamischer Seelsorger zu werden, reagiert?
Die Einführung des islamischen Klinikbeistandes ist ein gemeinsames Projekt mit dem Vorstand des Universitätsklinikums Bonn, für das ich mich mit großem Engagement zur Verfügung gestellt habe. Der Bedarf besteht bereits seit langem. Diesem adäquat entgegenzukommen, war auch schon länger der Wunsch des Uniklinikums. Der Projektstart im vergangenen Sommer ist ein großer Erfolg für das Haus.
Inwiefern hat Sie Ihr Arbeitgeber bei der Ausbildung unterstützt. Bei dem Posten handelt es sich ja um ein Ehrenamt?
Die berufsbegleitende Ausbildung wurde vom Arbeitgeber finanziert. Die Position als islamischer Krankenhausseelsorger führe ich neben meinem Beruf im Ehrenamt aus. Alle meine Vorgesetzten und Mitarbeiter unterstützen mich dabei, insbesondere wenn es um die Gestaltung des Dienstplanes geht. Dafür bin ich allen ganz herzlich dankbar.
Sie sind hauptberuflich Krankenpfleger. Inwiefern helfen Ihnen Ihre auf diesem Gebiet erworbenen Erfahrungen bei der Arbeit als Seelsorger?
Ich bin examinierter Gesundheits- und Krankenpfleger (GKP). Es ist ein Zusammenspiel – kann man sagen. Sowohl die Erfahrungen als GKP als auch die Erfahrungen, die ich als Seelsorger mache, sind mir in beiden Bereichen sehr hilfreich, um den Patienten ganzheitlich versorgen zu können.
Sie haben als Krankenpfleger einen ausgefüllten Arbeitstag. Wie schaffen Sie es, diese Tätigkeit und das Ehrenamt unter einen Hut zu bringen?
Das ist vor allem eine Frage der Organisation: Mit Disziplin und Zeitmanagement ist das ganz gut hinzubekommen. Außerdem unterstützen mich die umliegenden islamischen Gemeinden und Moscheen.
Zunehmend kommen Patienten aus islamischen Ländern nach Deutschland, um sich behandeln zu lassen. Sollte es daher in jedem Krankenhaus einen islamischen Beistand geben?
Muslime stellen bei uns am Klinikum die zweitgrößte Glaubensgruppe - sowohl bei den Patienten als auch bei den Mitarbeitern. Das bezieht sich vor allem auf deutsche und in Deutschland lebende Muslime und wird auch bei anderen Kliniken der Fall sein.
Deswegen kann es für das Wohl der Patienten, aber auch des Personals nur wünschenswert sein, dass es neben der christlichen Krankenhausseelsorge auch einen islamischen Beistand vor Ort gibt. Aus dem Ausland zugereiste Patienten spielen dabei aber keine große Rolle. Sie stellen nur einen sehr kleinen Prozentsatz unserer Patienten.
Können Sie uns einen kleinen Einblick in Ihre geistliche Arbeit geben. Wie läuft eine Betreuung in der Regel ab?
Mein Aufgabenbereich als islamischer Beistand ist vielseitig. Die Betreuung ist jedoch immer individuell! Nachdem ich informiert worden bin, findet ein Erstgespräch mit dem Patienten und gebenenfalls auch mit seinen Angehörigen statt. In diesem Gespräch steht der Patient natürlich im Mittelpunkt! Und der Patient bestimmt auch letztendlich, was und wie viel von mir als Seelsorger erwünscht ist.
Was ist sozusagen das Herzstück der Betreuung?
Ganz klar die Kommunikation. Sie ist in allen Fällen und Tätigkeiten das Wichtigste! So sind wir manchmal mit dem Patienten auf dessen Wunsch schon nach fünf Minuten beim gemeinsamen Gebet. Bei anderen steht das Sozial-Kommunikative im Vordergrund.
Das Gebet oder die religiösen Rituale finden ihren Platz dann, wenn überhaupt noch erwünscht, erst später beziehungsweise gegen Ende des Gesprächs. Bei Bedarf besuche ich den Patienten anschließend regelmäßig, bis er entlassen wird.
Und dann ist die Betreuung zu Ende?
Nein. Hin und wieder melden sich auch entlassene Patienten oder Angehörige bei mir, um den herzlichen Dank für den „entlastenden Beistand" auszusprechen oder mitzuteilen, wie es ihnen geht. Darüber freue ich mich natürlich riesig und es macht mich sehr glücklich.
Wo liegt die Herausforderung bei der Kommunikation mit betroffenen Patienten und ihren Angehörigen?
Jeder Mensch ist anders. So betrachtet, ist jede Begegnung mit dem Menschen schon eine Herausforderung für sich. Man muss das entsprechende Feingefühl dafür entwickeln. Man muss denjenigen, in diesem Fall den Patienten oder die Angehörigen, abholen und ein Gespür für seine Bedürfnisse haben, um Beistand leisten zu können.
Sie arbeiten seit August 2014 als ehrenamtlicher Seelsorger in der Klinik. Wie lautet Ihre Bilanz nach knapp einem Jahr?
77 Fälle habe ich bislang betreut. Die Resonanz ist durchweg positiv und die Tendenz steigend.
Wie reagieren Ihre Kollegen aus der Krankenpflege auf Ihr ehrenamtliches Engagement? Fragen sie Sie gelegentlich nach Tipps für die Betreuung islamischer Patienten?
„Das wurde auch langsam Zeit!" - sagen viele, die mich kennen. Meine Kollegen sind ebenfalls erfreut darüber, dass ich in dieser Hinsicht verfügbar bin. Ihr Interesse ist groß, wenn es um die transkulturelle Pflege geht. So finden nicht selten fallbezogene Fortbildungen statt, bei denen es um den muslimischen Patienten in seinem Kontext mit den für die Pflege und Medizin relevanten Aspekten geht.
Die christliche Krankenhausseelsorge ist in vielen Kliniken schon etabliert. Wie sieht die Zusammenarbeit mit Ihren Kollegen am Uniklinikum in Bonn konkret aus?
Von Anfang an sind wir im engen Dialog gewesen. Die islamische Krankenhausseelsorge beziehungsweise der islamische Klinikbeistand arbeitet mit der bereits seit sehr langem bestehenden christlichen Klinikseelsorge zusammen. Wir unterstützen uns gegenseitig.
An dieser Stelle möchte ich unseren christlichen Klinikseelsorgern meinen herzlichen Dank aussprechen. Es hat bereits zusammen organisierte Veranstaltungen wie interreligiöse Gottesdienste gegeben, die wir für die Zukunft beibehalten wollen. Außerdem finden regelmäßige Konferenzen statt, in denen wir uns austauschen.
Herr Tilkicik, herzlichen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Johanna Kristen.