In Deutschland erkranken nach Schätzungen des Bundesgesundheitsministeriums jährlich zwischen 400.000 und 600.000 Menschen an nosokomialen Infektionen. Mehr als 10.000 Betroffene sterben an den sogenannte Klinikerregern. Eine gute Händehygiene gilt unter Experten als größter Erfolgsfaktor, um den gefährlichen Keimen und damit auch zusätzlichen Kosten für die Häuser den Garaus zu machen. Allerdings hapert es häufig an mangelnder Compliance des Personals. Erfolg verspricht eine Lösung aus den USA .
Einfach an den Kittel oder den Kasack soll das Computermaus-ähnliche Gerät zu clipsen sein, das ein US-amerikanisches Startup erfunden hat. Im Inneren des tragbaren, wiederauffüllbaren Mini-Spenders befindet sich ein Desinfektionsgel. Der Vorteil: Zu jeder Zeit und unabhängig vom Aufenthaltsort können Ärzte und Pflegekräfte darauf zugreifen.
Digitale Komplettlösung
Zum Ausstattungspaket von „SwipeSense" gehören darüber hinaus ein an der Kleidung fixierbares „Badge" sowie in den Patientenzimmern und an zentralen Orten wie etwa dem Stationszimmer installierte Desinfektionsspender und „Hubs". Sie registrieren mit einem Sensor jedes Händewaschen und übermitteln die Information via Funk an das personalisierte Badge. Das wiederum sendet die Daten an den sogenannten „Comm Hub" in den Zentralstationen.
Über das WiFi kann dann das Klinikmanagement gezielt auf die gewünschten Informationen zugreifen und so etwa die Quelle von Infektionsausbrüchen genauer lokalisieren. Zusätzlich können Daten wie beispielsweise die Aufenthaltsdauer im Patientenzimmer und die Visitenfrequenz ermittelt werden.
Big Brother is watching you?
Der sogenannte Hawthorne-Effekt führt aktuellen Studien zufolge in den Phasen, in denen die Personen wissen, dass sie beobachtet werden, zu einer rund dreimal so hohen Compliance wie in den nicht überwachten Einheiten davor und danach. Ist also eine dauerhafte Kontrolle mit „SwipeSense" die Lösung?
Aus wirtschaftlicher Sicht der Krankenhäuser könnte viel dafür sprechen. Denn die Kosten, die jährlich durch Klinikinfektionen entstehen, sind nicht zu unterschätzen: Hierzulande gehen Schätzungen von rund 2,5 Milliarden Euro pro Jahr aus. In den USA sprechen Experten sogar von circa 10 Milliarden US-Dollar.
Bewusstsein für Hygiene stärken
Aber trotz der kontinuierlichen Dokumentation, die „SwipeSense" verspricht, scheint eine grundlegende Sensibilisierung von Medizinern und Pflegekräften unausweichlich. Das bestätigt auch eine aktuelle Studie der Leiterin des Instituts für Hygiene/Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Leipzig, Iris Chaberny. Danach können ein für das Thema Hygiene sensibilisiertes Klinikpersonal und verschärfte Hygienemaßnahmen, die Infektionsraten vor, während und nach einem Eingriff um mehr als 50 Prozent senken. Zumal die Gründe, die sich als Ursache mangelnder Hygiene in Krankenhäusern ausmachen ließen, banal seien.
Das zeigt auch die „S2-Leitlinie Krankenhaushygiene: Händedesinfektion und Händehygiene". Sie nennt als wesentliche Gründe für eine unzureichende Compliance für die Händehygiene etwa menschliche Unzulänglichkeiten wie mangelnde Disziplin, Gleichgültigkeit und Anonymität des Fehlverhaltens, aber auch unklare Anweisungen und fehlende Verhaltenskontrolle durch Vorgesetzte sowie unzureichende Ausstattung mit Desinfektionsspendern.
Erste Tests vielversprechend
In einigen der Punkte könnte „SwipeSense" Abhilfe schaffen, handelt es sich doch um ein To go-System, das Daten individuell erfasst und damit dazu beiträgt, dass unter anderem Fehler nicht mehr anonym bleiben. Laut dem Startup zeigten erste Tests in US-amerikanischen Kliniken, dass mithilfe der tragbaren Desinfektionseinheit die Händehygiene in den Häusern um 64 Prozent gesteigert werden konnte.
Auch in der Harburger Asklepios Klinik wird ein mobiles Gerät eingesetzt. Es soll dazu beitragen, noch bessere Werte im Händedesinfektionsmittelverbrauch zu erreichen. Das „HyHelp-System" zeigt bei erfolgter Desinfektion ein grünes Licht und erinnert die Pflegekraft über ein rotes oder einen Vibrationsalarm an eine Reinigung der Hände. Die Signale funktionieren auf Grundlage spezieller Algorithmen, die an die jeweilige Station angepasst werden können. Die Aufzeichnung der Stationsergebnisse läuft anonym ab und wird stationsweise ausgewertet. Nur die einzelne Pflegekraft kann dem Haus zufolge auf ihre individuellen Desinfektionsdaten zugreifen.