• Praxis
Intensivpflege

„Eins-zu-eins-Betreuung ist notwendig"

Ein interdisziplinäres Team der Uniklinik Köln hat den Personalbedarf einer Intensivstation auf Grundlage geltender Hygienerichtlinien analysiert. Über die Ergebnisse, die kürzlich in der „Deutschen Medizinischen Wochenschrift" veröffentlicht wurden, sprachen wir mit Werner Barbara, pflegerisches Mitglied der Arbeitsgruppe.

 

Herr Barbara, was haben Sie und Ihre Kollegen genau untersucht?

Wir haben den pflegerischen Zeitaufwand für die Patientenversorgung auf einer internistischen Intensivstation vor dem Hintergrund der Hygienerichtlinien des Robert-Koch-Instituts und der örtlichen Hygienekommission ermittelt. Den errechneten zeitlichen Aufwand haben wir mit dem jetzigen pflegerischen Betreuungsschlüssel verglichen und Konsequenzen für das Personalmanagement diskutiert. Darüber hinaus haben wir untersucht, welche Einstellung Intensivpflegende generell zu den Hygienevorschriften haben und wie sie die dazu anfallenden Arbeitsbelastungen einschätzen.

Wie sind Sie in der Untersuchung vorgegangen?

Zur Datenerhebung, die im Frühjahr 2013 über einen Zeitraum von drei Monaten auf der internistischen Intensivstation der Uniklinik Köln erfolgte, wählten wir 30 Pflegende aus. Es handelte sich um zufällig ausgewählte Kollegen, die sowohl in Teilzeit als auch in Vollzeit angestellt waren. Die Befragungen erfolgten in etwa gleichverteilt im Früh-, Spät- und Nachtdienst. Der Anteil an fachweitergebildeten Kräften betrug 28 Prozent.


Welche Daten wurden erhoben?

Wir dokumentierten die Art der ausgeführten Tätigkeiten, die Frequenz dieser Handlungen und alle weiteren Schritte, die für die Patientenversorgung notwendig waren. Im zweiten Schritt wurden die Zeiten der Einzeltätigkeiten zu einer Gesamtzeit für eine bestimmte Tätigkeit addiert. So setzte sich beispielsweise die Gesamtzeit für das Starten einer Hämodialyse aus den Einzelzeiten Händedesinfektion, Handschuhe anziehen, Anlegen der Hämodialyse und Händedesinfektion nach Verlassen des Patientenzimmers zusammen. Die Häufigkeit der ausgeführten Maßnahmen ergab in der Summe den Gesamtzeitaufwand einer Pflegeperson pro Patient pro Schicht.

Wie sind Tätigkeiten in die Berechnung eingeflossen, die nur einmal in einer Schicht anfallen, zum Beispiel die Körperpflege im Frühdienst?

Die ermittelten Zeiten für solche Tätigkeiten wurden anteilig auf die anderen Schichten verteilt, um so einen einheitlichen Aufwand zu ermitteln. Im nächsten Schritt haben wir fünf fiktive Modellpatienten einer Intensivstation gebildet, um den Personalbedarf auf Grundlage der ermittelten Zeiten in der Realität besser berechnen zu können. Darüber hinaus haben wir Intensivstationen anderer Unikliniken angeschrieben und nach deren durchschnittlichen Personalschlüssel - also das Verhältnis von Pflegeperson zu Patienten - gefragt. Die Rücklaufquote lag bei 28 Prozent. Diese Befragung ergab, dass eine Pflegeperson für durchschnittlich zweieinhalb Intensivpatienten zuständig ist.
Ergänzend wurde eine anonyme Fragebogenerhebung unter Pflegepersonen zu den Themen Arbeitsbelastung und Hygiene vorgenommen, um zu erfahren, wie mit den Hygienerichtlinien aktuell auf Grundlage des tatsächlich vorhandenen Personalschlüssels umgegangen wird.

Was ist hier herausgekommen?

Eine Mehrheit von 70 Prozent der Befragten - die Rücklaufquote betrug übrigens 50 Prozent - empfindet die für einen Patienten zur Verfügung stehenden Zeit als nicht ausreichend. Neunzig Prozent gaben in verschiedenen Abstufungen zudem an, dass sie ihre Patienten aufgrund von Zeitmangel nicht optimal versorgen können. Um eine möglichst gute Betreuung der Patienten zu erreichen, verzichten 80 Prozent der Befragten auf ihre Pause, 63 Prozent machen Abstriche bei der Grundpflege und 16 Prozent halten Hygienerichtlinien nicht konsequent ein. Rund die Hälfte der Befragten betrachten Hygienemaßnahmen als wichtig, um die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten. Als zielführendste Maßnahmen hierfür wurden von 97 Prozent der Befragten die Händedesinfektion, von 85 Prozent das Tragen von Handschuhen, von 77 Prozent die Eins-zu-eins-Betreuung und von 79 Prozent das Eingangsscreening bei Aufnahme des Patienten genannt. Als weniger geeignete Hygienemaßnahmen werden das Tragen einer Haube und tägliche Waschungen mit Desinfektionslösungen betrachtet. Diese Handlungen wurden von jeweils weniger als zehn Prozent genannt.

Was ist das zentrale Ergebnis der Gesamtanalyse?

Es ist ganz offensichtlich, dass eine adäquate Versorgung nach den derzeit geforderten hygienischen Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts mit dem vorhandenen Personalschlüssel im Intensivbereich nur schwer möglich ist. Unsere Modellrechnung an fünf fiktiven Intensivpatienten hat ergeben, dass eine Pflegeperson pro Schicht mit einer Länge von 7 Stunden und 30 Minuten plus 30 Minuten Pause nur einen Patienten adäquat versorgen könnte. Die Modellzeiten der anderen vier fiktiven Patienten überschreiten die reguläre Dienstzeit.

Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Nein, die Ergebnisse der Modellzeitberechnung und Fragebogenerhebung spiegeln unsere Beobachtungen im klinischen Alltag wider. Es ist in der Intensivpflege offensichtlich mittlerweile Standard, dass die Zeit für eine optimale Patientenversorgung nicht ausreicht und dieses Defizit anderweitig kompensiert wird - zum Beispiel indem Mitarbeiter auf ihre Pause verzichten. Dies deckt sich auch mit den Ergebnissen des Pflegethermometers 2012 des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung zu den Arbeitsbedingungen in der Intensivpflege. Einschränkend muss bei unseren Analyseergebnissen jedoch konstatiert werden, dass die ermittelten Pflegezeiten nur beispielhaft für eine internistische Intensivstation erhoben wurden. In den Zeitberechnungen sind keine zeitintensiven Maßnahmen wie Reanimationen, aufwändige Behandlungen wie ECMO oder Hilfe bei Anlage von Gefäßzugängen berücksichtigt. Auch Routinearbeiten wie Apothekenbestellungen und Aufräumarbeiten sind nicht eingeflossen.

Welche Konsequenzen für die Praxis müssen nun folgen?

Das Risiko von nosokomialen Infektionen ist auf Intensivstationen wesentlicher höher als auf Normalstationen. Die strikte Einhaltung von Hygienerichtlinien ist wichtig, um die Vermehrung gefährlicher Krankenhauskeime einzudämmen. Dies ist aber nur dann möglich, wenn genügend Pflegepersonal zur Verfügung steht. Wenn man das Infektionsschutzgesetz ernst nimmt, führt kein Weg daran vorbei, mehr Fachkräfte einzustellen. Auf Grundlage unserer Analyse müssen wir davon ausgehen, dass eine pflegerische Eins-zu-eins-Betreuung auf Intensivstationen notwendig ist.


Werden Sie diese Forderung auf den von Ihnen verantworteten Intensivstationen umsetzen?

Nein, das können wir nicht, weil wir zusätzliche Pflegepersonen nicht refinanzieren können. Mittlerweile gelingt es uns oft, bei Patienten, die mit Assist-Systemen behandelt werden müssen, einen Betreuungsschlüssel von Eins-zu-eins zu gewährleisten. Die Ausstattung der Krankenhäuser mit einem ausreichenden Personalschlüssel ist nach meiner Meinung eine gesellschaftliche Aufgabe. Die Gesellschaft muss sich mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit sie bereit ist, für die Gesundheitsleistungen noch mehr Geld zu bezahlen und somit die personelle Ausstattung im Pflegebereich zu verbessern. Die Empfehlungen des Robert-Koch Instituts müsste aus meiner Sicht noch mehr diskutiert und herausgestellt werden, welche Auswirkungen diese auf bestehende Stellenpläne haben. Zurzeit werden über den Gemeinsamen Bundesausschuss bessere Betreuungsschlüssel vorgeschrieben, zum Beispiel in der Neonatologie. Doch klar ist, dass die Finanzierung der zusätzlichen Stellen gesichert sein muss. Das ist, soweit ich informiert bin, bisher noch nicht der Fall.

Herr Barbara, vielen Dank für dieses Gespräch.

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