Das Parlament hat sich heute in erster Lesung mit dem Pflege-Neuausrichtungsgesetz der Bundesregierung befasst. Während Bundesgesundheitsminister Bahr (FDP) den Gesetzentwurf aus seinem Haus verteidigte, warf ihm die Opposition gebrochene Versprechen und Untätigkeit vor. Vorab hatten auch Verbände und Verbraucherschützer noch einmal heftige Kritik an dem „Reförmchen“ geübt.
Der aktuelle Gesetzentwurf sieht unter anderem eine Anhebung der Pflegesätze, höhere Leistungen für Demenzkranke und eine Beitragserhöhung für die gesetzliche Pflegeversicherung um 0,1 Prozentpunkte vor. Zudem sollen Pflegebedürftige flexibler Leistungen mit ambulanten Pflegediensten vereinbaren können, spezielle alternative Wohnformen gefördert werden und Angehörige leichter eine Auszeit nehmen können. Hinsichtlich der geplanten Pflege-Zusatzversicherung kündigte Bahr einen separaten Entwurf an, die Beratungen liefen noch.
Die Opposition kritisierte vor allem das Fehler einer wirklichen Besserstellung Demenzkranker und eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes im Entwurf. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast warf Bahr „Schönrednerei“ vor. Die im Entwurf festgeschriebenen neuen Leistungen seien zwar ein erster Schritt, aber letztlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Die wirkliche Qualitätsoffensive packen sie nicht an.“ Ebenso fehlte ein Konzept für eine nachhaltige Finanzierung. Die Pflegeexpertin der Linken Kathrin Senger-Schäfer bemängelte, dass seit drei Jahren konkrete Pläne für eine „tatsächliche Neuausrichtung der Pflegeversicherung“ vorlägen, die Koalition es aber bis heute nicht schaffe, eine politische Entscheidung zu treffen. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD Karl Lauterbach warf der Regierung vor, die Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffes aus Kostengründen zu scheuen. „Diese Regierung lässt die Alten und Kranken, weil sie keine Lobby haben, im Stich.“
Auch der Sozialverband VdK warnte vor Einsparungen an der falschen Stelle. „Gute Pflege ist ein Gebot der Menschenwürde und die Menschenwürde darf nicht unter Kostenvorbehalt stehen“, sagte Verbandspräsidentin Ulrike Mascher. Dass die Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffes weiter hinausgeschoben werde, sei enttäuschend. Demenzkranke fielen damit bei der Begutachtung durch die Medizinischen Dienste weiter durch das Raster. Sie forderte auch erneut eine bessere rentenrechtliche Absicherung von pflegenden Angehörigen.
Bereits gestern hatte der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) sich ähnlich geäußert. „Demenzkranke fallen auch künftig durchs Raster, pflegende Angehörige stehen weiter im Regen und die Pflegeversicherung bleibt unterfinanziert“, sagte vzbv-Vorstand Gerd Billen. Die Reform werde die Probleme nicht lösen. Billen forderte weitere Einkommensarten in die Finanzierung der Pflegeversicherung einzubeziehen und den Pflegebedürftigkeitsbegriff endlich auf Demenzkranke auszuweiten. Zudem müsse die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verbessert werden.