Bundesgesundheitsminister Bahr (FDP) muss sich nach seiner Kampfansage gegen anhaltende Mengensteigerungen in den Krankenhäusern weiter gegen den Vorwurf wehren, älteren Patienten Hüft- und Knie-OPs versagen zu wollen. Kritik kommt dabei nicht nur aus den Krankenhäusern selbst und von der Opposition, sondern auch aus den Reihen der eigenen Koalition.
Der Präsident der Krankenhausdirektoren Deutschlands Josef Düllings bezeichnete es gestern als „ethisch nicht vertretbar“, einen medizinischen Eingriff vom Alter des Patienten oder einer Stückzahl abhängig zu machen. Für ein wirtschaftlich starkes Land wie Deutschland sei es unwürdig, überhaupt darüber zu diskutieren, sagte er laut einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur (dpa) auf der Jahrestagung des Verbandes der Krankenhausdirektoren in Potsdam. Allein die medizinische Notwendigkeit dürfe ausschlaggebend sein. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft bestritt, dass in Deutschland unnötig operiert werde. „Wer so über nackte Zahlen spricht, der weiß gar nicht, ob viele Menschen jetzt nicht immobil wären, wenn sie nicht zur OP gewesen wären“, sagte Hauptgeschäftsführer Georg Baum.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte davor, aus Prinzip sparen zu wollen und in der Konsequenz „Prothesen für Alte“ zu rationieren. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles warf Bahr vor, die Vorschläge des Unionspolitikers Philipp Mißfelder aus dem Keller hervorzuholen. Der Chef der Jungen Union hatte 2003 Schlagzeilen gemacht, als er die Sinnhaftigkeit eines neuen Hüftgelenks für 85-Jährige bezweifelte. Er sagte der „Bild“-Zeitung gestern, Bahrs Ehrlichkeit sei ehrenwert, aber nicht genug.
Angst um die Versorgung Älterer haben aber auch Unionspolitiker. Der Chef der Senioren-Union Otto Wulff setzte Bahrs Vorschlag mit einer Selektierung älterer Menschen nach dem Motto „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“ gleich. Der Vizevorsitzende der Sozialausschüsse der Union Christian Bäumler nannte Rationalisierungen von Hüft- und Knie-Operationen menschenunwürdig.
Rückendeckung erhielt Bahr hingegen vom Chef der Unionsfraktion Volker Kauder und dem gesundheitspolitischen Sprecher der Union Jens Spahn. „Es kanns ich jeder darauf verlassen, dass er auch in Zukunft die notwendigen Leistungen im Krankenhaus bekommt – unabhängig vom Alter und Einkommen“, sagte Kauder der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ von heute. Der Koalition gehe es darum, unnötige Operationen zu verhindern, die nur vorgenommen würden, um die Einnahmen der Krankenhäuser zu steigern. Das bestätigte auch Spahn. Jeder Patient in Deutschland bekomme medizinisch notwendige Operationen bezahlt, egal wie alt oder wie reich er sei. „Und das wird auch so bleiben. Aber wir müssen die Menschen auch vor unnötigen Bandscheiben- oder Knie-OPs schützen, die nur zum Geldverdienen gemacht warden”, teilte er unter anderem auf seiner Facebook-Seite mit. Für ihn ist die Kritik an den Koalitionsplänen zur Eindämmung weiterer Mengensteigerungen abstruser „Wahlkampf-Quatsch“.
Der Bundegesundheitsminister hatte gestern ebenfalls zugesichert, dass in Deutschland auch weiterhin jeder die notwendige Behandlung oder Operation erhalte. Alles andere sei vollkommener Unsinn.