Nach der Verabschiedung des Pflege-Neuausrichtungsgesetzes (PNG) im Bundestag am vergangenen Freitag haben Pflege- und Sozialverbände noch einmal massiv Kritik geübt. Am deutlichsten formulierte es der Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen (bad), der die Reform nicht nur für unzureichend hält, sondern eine regelrechte Gefahr in ihr sieht. Mit enormem Bürokratieaufwand für Pflegedienste, vorprogrammierten Streitigkeiten um die Finanzierung mit den Pflegekassen und der Verunsicherung der Versicherten richte vor allem die geplante freie Wählbarkeit zwischen Zeit- und Leistungskomplexvergütung „allenfalls großen Schaden an“, sagte Bundesgeschäftsführerin Andrea Kapp.
„Bundesweit 12.000 Pflegedienste müssen sich nun daran machen, ihre heutigen Leistungskomplexe in Zeiteinheiten darzustellen und mit wirtschaftlichen Preisen zu kalkulieren“, so Kapp. Für die bis 2012 neu auszuhandelnden Vergütungs- und Leistungsvereinbarungen mit Krankenkassen in 16 Bundesländern seien Streits so gut wie sicher. In vielen Fällen dürften Schiedsstellen das letzte Wort haben. Für die Verbraucher entstehe Verwirrung und Unsicherheit. Ohne qualifizierte Beratung, die wiederum mit mehr Bürokratie und höheren Kosten einhergehe, sei es für pflegebedürftige älteren Menschen schwer zu erkennen, welche Leistungen für sie am besten seien.
Auch der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) warnte infolge der parallelen Einführung von Zeit- und Pauschalvergütungen vor einer „Stoppuhrpflege“ und Kostensteigerungen. Noch verheerender ist aus Sicht des Verbandes aber die im PNG fehlende Korrektur der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Vergütungsfindung und zu den Investitionskosten. Es sei völlig unverständlich, warum der Gesetzgeber die Rückkehr zum Selbstkostendeckungsprinzip beschließe. „Diese Regelung ist der Abschied von Markt und Wettbewerb und sie legt die Axt an die Wurzel von mindestens über die Hälfte der Pflegeeinrichtungen“, sagte bpa-Präsident Bernd Meurer am Freitag in Berlin. Sein Verband habe sich von einem liberalen Bundesgesundheitsminister eine marktorientiertere Regelung erwartet. Auch ansonsten enttäusche die Reform, da ein Großteil der Menschen mit Demenzerkrankungen leer ausgehe, nur weil er in Heimen betreut werde. „Ein entschiedeneres Gesetz wäre möglich gewesen“, so Meurer.
Als „enttäuschend und völlig unzureichend“ bezeichnete die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, das PNG. „Pflege braucht mehr als gute Worte. Pflege braucht Geld.“ Die durch die Erhöhung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung generierten 1,1 Milliarden Euro reichten aber bei weitem nicht aus, um wirkliche Verbesserungen durchzusetzen. Gerade einmal vier bis 7,50 Euro am Tag stünden den Angehörigen von Menschen mit psychischen und seelischen Defiziten ab kommendem Jahr zur Verfügung, um die Betreuung zu organisieren. „Das ist bestenfalls eine Geste guten Willens.“ Auch die übrigen zusätzlichen Leistungen für Demenzkranke seien „allenfalls ein Trostpflaster angesichts dessen, was eigentlich geschehen müsste“. Auch die Einführung einer freiwilligen privaten Pflegevorsorge helfe gerade denen, die es am nötigsten hätten, nicht weiter. „Fünf Euro staatlicher Zuschuss werden niemandem mit geringem Einkommen in die Lage versetzen, eine Versicherung in der für ausreichende Leistungen notwendigen Höhe abschließen zu können“, so Mascher. Sie forderte erneut einen Solidarausgleich zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung.
Auch der Diakonie Bundesverband bemängelte ein fehlendes Konzept für eine nachhaltig solidarisch finanzierte Pflegeversicherung und warf der Bundesregierung vor, sich mit der Reform auf einen ersten Schritt zu beschränken, der nur kurzfristige Verbesserungen bringe, die großen Probleme aber ausklammere. „Die Politik muss endlich vernünftige Rahmenbedingungen schaffen und ein zukunftstaugliches Gesamtkonzept vorlegen“, forderte Maria Loheide, sozialpolitischer Vorstand im Bundesverband. Nach wie vor gebe es dringenden Handlungsbedarf, die Situation der pflegebedürftigen Menschen und ihrer Angehörigen zu verbessern, aber auch der Pflegekräfte. So dürfe der Pflege-Mindestlohn nicht zum Normlohn gemacht werden. Dies sei ein falsches Signal, denn die Zahlung von Tariflöhnen sei nicht unwirtschaftlich, sondern ein wichtiger Baustein, um die Akzeptanz der Pflegeberufe zu garantieren. Die Finanzierung der Pflege müsse eine angemessene Bezahlung sicherstellen, sagte Loheide.
Durchgängig wurde die fehlende Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes beanstandet. Der Schlüsselpunkt für eine Verbesserung der Versorgung Demenzkranker müsse nun „erneut auf eine folgende Legislaturperiode verschoben“ werden, sagte die Referentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe Claudia Pohl. Das werde den pflegebedürftigen Menschen in Deutschland und ihren Angehörigen nicht gerecht.