Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) will in den kommenden Tagen ein Positionspapier an die Mitglieder des Deutschen Bundestages verschicken, in dem er eine Reform des Medizinprodukterechts fordert. Im Gegensatz zu Arzneimitteln unterlägen Medizinprodukte keinem behördlichen Zulassungsverfahren und selbst Hochrisikoprodukte müssten nach geltender Rechtslage nicht in klinischen Studien am Menschen untersucht werden. Auch die Marktüberwachung in Deutschland sei ein „zahnloser Tiger“: unangemeldete behördliche Kontrollen würden kaum durchgeführt, langfristige Beobachtungsstudien nicht angeordnet, Vorkommnisse mit Medizinprodukten häufig nicht an die Überwachungsbehörden gemeldet, wie der Skandal um die PIP-Brustimplantate gezeigt habe, in dessen Folge es erst aufgrund der öffentlichen Berichterstattung zur Nachmeldung von mehr als tausend Vorkommnissen durch deutsche Anwender gekommen sei.
„Das Positionspapier ruft zu einem klaren Umdenken beim Thema Medizinprodukte auf. Herstellerinteressen dürfen nicht länger über die Patientensicherheit gestellt werden“, sagte Verbandssprecherin Ann Marini der Fachzeitschrift „f&w führen und wirtschaften im Krankenhaus“. „Hier brauchen wir ein Umdenken auf europäischer Ebene.“ Die EU-Kommission will Ende des Monats einen ersten Entwurf für die Reform des Medizinprodukterechts vorlegen.
Der Verband appelliert in dem vierseitigen Papier an die Bundesregierung, sich im Zuge der anstehenden Reform des Medizinprodukterechts durch die EU für ein unabhängiges und zentrales behördliches Zulassungsverfahren einzusetzen, obligatorische klinische Prüfungen für Hochrisikoprodukte nach klaren Normen und deren Dokumentation in einer öffentlich zugänglichen europäischen Studiendatenbank sowie die Durchführung langfristiger Vigilanzstudien nach Markteinführung. „Nur auf Basis einer solchen Transparenz lässt sich tatsächlich beurteilen, ob das Produkt hält, was der Hersteller verspricht“, sagte Marini. Zudem müssten Vorkommnismeldungen zu Produkten aller Risikoklassen zentral erfasst und allen verantwortlichen Behörden zugänglich gemacht werden, auch um die Datenbasis für eine Nutzen-Risiko-Abwägung zu erhöhen. Das Unterlassen einer Meldung will der Kassenspitzenverband mit Bußgeldern sanktioniert sehen, ebenso das Nichtbefolgen der bereits bestehenden Verpflichtung zur Führung und Aktualisierung von Aufzeichnungen über implantierte Produkte und zur Information der Patienten bei korrektiven Maßnahmen.
„Konsequenterweise sollte die Politik den Gedanken der Kassen aufgreifen, vielversprechende neue Methoden und Produkte, bei denen Nutzen und Schaden für die Patienten jedoch unbekannt sind, zunächst ausschließlich in qualitativ hochwertigen Studien in die Versorgung einzuführen“, sagte Marini der in der kommenden Woche erscheinenden aktuellen Ausgabe von „f&w“. „Es kann nicht sein, dass Methoden und Produkte mit unklarem Risiko unsystematisch in jedem Wald- und Wiesenkrankenhaus in dem vermeintlichen Glauben angewandt werden können, den damit behandelten Patienten Gutes zu tun.“