Anlässlich des heutigen Welt-Alzheimertages haben Patientenverbände und Diakonie zu mehr Miteinander im Umgang mit Demenzerkrankungen aufgerufen und vor Schreckensszenarien gewarnt. Die Politik forderten sie auf, bessere Rahmenbedingungen auch für professionell Pflegende und pflegende Angehörige zu schaffen.
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Gerontopsychatrie und -psychotherapie e.V. (DGGPP) und die Hirnliga wenden sich in diesem Jahr unter dem Motto „Demenz: zusammen leben“ an die Öffentlichkeit. „Damit möchten wir sichtbar machen, dass es auf das Miteinander ankommt“, sagte die Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Heike von Lützau-Hohlbein. Menschen mit Demenz lebten in Familien, in Wohngruppen oder Heimen, in Dörfern, Stadtvierteln und Nachbarschaften, seien Mitglieder in Sport- und Musikvereinen. „Deshalb geht Demenz nicht nur die betroffenen Familien und Professionelle, sondern alle Bürger an.“ Die
in dieser Woche ins Leben gerufene Allianz für Menschen mit Demenz sei ein wichtiger Schritt in diese Richtung, genüge aber nicht. „Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für die Pflege“, sagte von Lützau-Hohlbein. Dazu gehörten ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff, die weitere Entlastung der Angehörigen und eine vernünftige finanzielle Ausstattung auch für die professionelle Pflege. „Uns allen ist bewusst: Gute Pflege gibt es nicht umsonst.“
DGGPP-Präsident Hans Gutzmann forderte Strukturreformen. Das Nebeneinander von Kranken- und Pflegeversicherung in Deutschland führe dazu, dass Demenzkranke nicht angemessen behandelt würden. Solange die Politik die Alzheimer-Krankheit eher als pflegerisches Problem betrachte und die Chancen, die eine medizinische Behandlung biete, nicht erkenne, bleibe diese Trennung erhalten, weil es für eine Krankenkasse betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll sei, eine Behandlung zu bezahlen, deren Nutzen - die erst später eintretende Pflegebedürftigkeit – die Pflegekasse habe. „Deshalb bleibt das medizinisch Notwendige und volkswirtschaftlich Sinnvolle ungetan“, sagte Gutzmann. Weil das vorhandene System eine frühzeitige Diagnose und umfassende Behandlung nicht fördere, würde beides oft versäumt, „und die pflegenden Angehörigen tragen körperlich, seelisch und finanziell die Hauptlast, mit dem hohen Risiko, selbst zu erkranken.“
Neben der Umsetzung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes forderte die Diakonie von der Politik eine langfristige Strategie für Menschen mit Demenz. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, sagte der sozialpolitischer Vorstand der Diakonie Deutschland Maria Loheide in Berlin. Die Neugestaltung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs in der Pflegeversicherung, der die Benachteiligung demenzkranker Menschen beende, sei längst überfällig. Der Pflegebedarf dürfe nicht länger am zeitlichen Aufwand gemessen werden, sondern müsse sich daran orientieren, wie selbstständig die Betroffenen ihr tägliches Leben gestalten könnten. Dies seien aber nur erste Schritte. „Wir halten es für zwingend notwendig, eine langfristige Strategie zu entwickeln, die die schwierige Lebenssituation demenzkranker Menschen und ihrer Angehörigen spürbar verbessert“, so Loheide. Darum unterstütze auch die Diakonie die Allianz für Menschen mit Demenz als einen ersten Schritt.
Vor einer reinen Angstdiskussion um Demenzerkrankungen und Schreckensszenarien warnte indes die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung. „Menschen mit Demenz können auch noch mit Freude in die Zukunft schauen“, sagte Vorstand Eugen Brysch der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Im Umgang mit Betroffenen sei es wichtig, herauszufinden, was diese früher gekonnt hätten und was sie davon noch könnten. „Ein Schreiner freut sich auch dann noch über Holzarbeiten, wenn er selbst nicht mehr in der Lage ist, etwas zusammenzubauen“, sagte Brysch. Er forderte, dass insbesondere Ärzte besser auf den Umgang mit Demenzpatienten vorbereitet werden müssten. Je früher die Erkrankung erkannt werde, desto eher könne sie behandelt werden und umso eher könnten auch Angehörige vorbereitet werden.
Aktuell leben in Deutschland rund 1,2 Millionen Menschen, die an einer Demenzerkrankung leiden, wobei das Erkrankungsrisiko mit dem Alter steigt. So ist in der Gruppe der 65- bis 69-Jährigen nur jeder 20. betroffen, während es bei den 80- bis 90-Jährigen schon jeder Dritte ist.