Am vorletzten Sitzungstag des Bundestages vor den Wahlen im Herbst haben sich Opposition und Regierung gegenseitig Untätigkeit in der Pflegepolitik vorgeworfen. SPD-Schattenminister Karl Lauterbach rief an die Regierungsbank gerichtet: „Wir haben in unserem Pflegepapier mehr Inhalt als Sie in Ihren Reden, Kommissionen und Gipfeln.“ Für die Menschen in der Pflege habe sich durch die schwarz-gelbe Politik nichts geändert, argumentierte Lauterbach unter Verweis auf eine überbordende Bürokratie. Lauterbach hatte zu Wochenbeginn einen Siebenpunkteplan zur Reform des Pflegesystems für den Fall einer Regierungsübernahme durch die SPD im Herbst vorgelegt.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) wollte die Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen. Die Leistungen der Pflegeversicherung seien in diesem Jahr um fünf Prozent gestiegen. Während es unter der rot-grünen Regierung in den Jahren 1998 bis 2005 „kein einziges Gesetz“ für den Pflegebereich gegeben habe, und die große Koalition bis 2009 kaum etwas getan habe, habe die schwarz-gelbe Regierung gehandelt. Vorwürfe, die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff sei von ihm verzögert worden, wies Bahr zurück. Der noch von der SPD-Ministerin Ulla Schmidt ins Spiel gebrachte Begriff hätte die Situation für 30 Prozent der Pflegebedürftigen verschlechtert, sagte Bahr, deshalb habe er eine neue Kommission einsetzen müssen. Diese übergibt ihren Bericht am Donnerstagnachmittag an den Minister.
Auch der CDU-Abgeordnete Willi Zylajew konterte die Vorwürfe von Lauterbach und verwies auf zahlreiche Maßnahmen der Regierung, insbesondere den Ausbau der Pflegeversicherung durch den sogenannten Pflege-Bahr, also die staatlichen Zuschüsse für private Pflegezusatzversicherungen. Es sei auch unter einer CDU-geführten Bundesregierung gewesen, als die Pflegeversicherung Anfang der 1990er Jahre eingeführt wurde. Unter der Kanzlerschaft des Sozialdemokraten Gerhard Schröder in den Jahren 1998 bis 2005 habe die Pflegeversicherung dagegen „eine Auszeit“ erlebt, rot-grün habe nichts weiterentwickelt.
Elisabeth Scharfenberg, Sprecherin für Pflege- und Altenpolitik der Fraktion Bündnis90 / Die Grünen, warnte: „Der Pflege droht ein Flächenbrand.“ Nötig sei eine Strukturreform. Scharfenberg weiter: „Daniel Bahr hat es versäumt, zu entscheiden, was ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff kosten darf. Ohne klare Vorgaben kann man keine Reform anpacken, die so umwälzend ist und die darüber hinaus viele besser-, aber niemanden schlechterstellen soll.“