Fast 59 Prozent der 1.200 für eine Befragung ausgewählten Berliner Pflegenden haben sich für eine eigene Kammer ausgesprochen. Das ist das Ergebnis der repräsentativen Befragung im Auftrag der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, das gestern in Berlin bekanntgegeben wurde.
Nur knapp 17 Prozent der Befragten waren gegen die Kammer. Rund 14 Prozent gaben kein Urteil ab. 4,5 Prozent war es egal und knapp 6 Prozent machten keine Angaben. „Nach diesem Votum der Berufsgruppe erwarten wir, dass beide Koalitionsparteien gemeinsam jetzt umgehend die politischen Weichen stellen", sagte Anja Kistler, Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) Nordost. Mit Unverständnis sähe der Verband, wie lange die Berliner SPD schon zögere.
Der DBfK Nordost sei ohne Wenn und Aber für die Pflegekammer und fahre die Strategie der breiten Information. Als im Oktober 2014 die Kammer-Studie startete, begann eine monatelange Plakataktion, um das Thema Pflegekammer in den öffentlichen Raum zu bringen. Auch die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke wurden genutzt. Die Detailauswertung der Studie ergab eine fast 70-prozentige Zustimmung der jungen Pflegenden mit weniger als fünf Jahren Berufserfahrung.
Ingrid Kollak, Professorin an der Alice Salomon Hochschule Berlin, hatte die Studie im Auftrag des Senats durchgeführt und sprach von einer „hohen Repräsentativität" der geführten qualitativen Interviews und quantitativen Befragung unter den examinierten Fachkräfte in 34 Krankenhäusern, 53 Pflegeheimen und 41 ambulanten Pflegediensten. „Unsere Studie wurde nicht behindert", sagte sie mit Blick auf mögliche Widerstände der Arbeitgeber.
Allerdings habe man bei den Häusern vorab angefragt und sei nur zu solchen Einrichtungen gegangen, die eine Zusage gegeben hätten. Insgesamt wurden 624 Pflegefachpersonen aus Krankenhäusern, 293 aus Pflegeheimen und 279 aus Pflegediensten befragt. Es habe „in allen Bereichen ein deutliches Votum für die Pflegekammer" gegeben, sagte Kollak.
Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) sagte am Dienstagnachmittag im vollbesetzten großen Saal des Roten Rathauses nach Kollaks Präsentation: „Für mich ist das eine eindeutige Botschaft, alle weiteren Schritte zu unternehmen, um in Berlin eine Pflegekammer zu gründen." Der Politiker wies unter lautem Applaus darauf hin, dass das Studiendesign im Vorhinein von allen Beteiligten akzeptiert worden sei.
Er wolle jetzt Vertreter aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen einladen, wo die Einrichtung einer Pflegekammer bereits läuft. Dann sei das Abgeordnetenhaus am Zug. „Um die parlamentarische Mehrheit muss noch gerungen werden", sagte Czaja.
In der Tat: Ülker Radziwill aus der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus nannte das Ergebnis vorsichtig „interessant". Die Sozialdemokratin bemängelte jedoch, dass die Pflegehilfskräfte nicht in die Befragung miteinbezogen worden waren. „Welchen Einfluss hat die Pflegekammer auf diese Gruppe?", fragte sie. Außerdem sei die Anzahl der Teilnehmer aus den Krankenhäusern deutlich höher gelegen aus jene aus der Altenpflege.
„In der SPD-Fraktion gibt es derzeit eine Mehrheit gegen eine Pflegekammer", sagte die Vertreterin der größten Regierungspartei. Auch in der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag sei eine Mehrheit gegen die Einführung von Pflegekammern. Radziwill fragte: „Finden wir modernere Wege?"
Heiko Thomas als Vertreter der Berliner Grünen und damit der Opposition sprach sich für die Pflegekammer aus. Schließlich müsse die Pflege eine eigene Stimme bekommen, da „real nur die Ärzteschafft verhandelt", wenn es um Aufgaben gehe, die bei der Selbstverwaltung lägen. Dem widersprach Radziwill: „Die Politik kann sich einen schlanken Fuß machen." Sie warnte, dass in der derzeitigen Euphorie zu hohe Erwartungen geweckt würden, was später zu Enttäuschungen führen könne.