Die Vorteile der generalistischen Ausbildung für die Altenpflege erläutert Andreas Westerfellhaus, Vorsitzender des Deutschen Pflegerates, im zweiten Teil des großen Sommerinterviews für Station24.
Wir haben bereits über die Themen Personal gesprochen. Verschärfen Sie mit ihrem Bestreben nach einer generalistischen Ausbildung und der Abschaffung des Altenpflegeberufs nicht den Fachkräftemangel, weil sie die Anforderungen an die formalem Bildungsabschlüsse beim Zugang in den Beruf erhöhen?
Nein, da irren Sie sich! Es geht nicht darum, Ausbildungsanforderungen zu erhöhen. Die Leistungsanforderungen in den unterschiedlichsten Fachdisziplinen der Pflege haben sich in den vergangenen Jahren völlig verändert. Dem können wir nur gerecht werden, indem die Ausbildung reformiert wird. Nötig ist eine gemeinsame Ausbildung der Pflegeprofession mit einem gemeinsamen Abschluss, von dem ausgehend dann entschieden werden kann, welche weiteren Qualifikationen nötig sind, um bestimmte Leistungen zu erbringen, zum Beispiel in der Geriatrie, in der Pädiatrie oder in der Krankenintensivpflege. Der Vorwurf, wir würden damit den Altenpflegeberuf abschaffen, ist die dümmste Argumentation, die ich jemals gehört habe. Wir schaffen vielmehr für die Altenpflege neue Möglichkeiten.
Welche?
Es ist doch längst Realität, dass heute sehr viel Geld in Nachqualifikationen fließt. Heute entscheiden sich Altenpflegerinnen aus den unterschiedlichsten Gründen für eine Tätigkeit in einem Krankenhaus, möglicherweise weil sie dort ihren Arbeitsplatz als sicherer erachten. Andererseits gibt es ausgebildete Kinderkrankenpfleger, die aus welchen Gründen auch immer einen Arbeitsplatz in der Altenpflege annehmen. Wir benötigen angesichts dieser Entwicklungen ein System der Grundqualifizierung kombiniert mit einer aufgabenspezifischen Weiterqualifizierung oder eines wissenschaftlichen Aufbaustudiums. Es geht doch darum, flexible und durchlässige Strukturen mit einer qualifizierten Pflege in Einklang zu bringen. Deshalb reicht eine Reform der Ausbildung per se nicht aus. Sie muss einhergehen mit einem Berufsgesetz, dass berufsrechtliche Fragen klärt. Wenn jemand also eine dreijährige generalistische Ausbildung absolviert hat, dann muss feststehen, was diese Fachkraft eigentlich an Leistungen erbringen darf. Das ist in der Kinderkrankenpflege, in der Altenpflege und in der Krankenpflege heute nicht geklärt. Es gibt drei geschützte Berufsbezeichnungen, die aber in keinem Fall definieren, was jemand eigentlich darf.
Plädieren Sie gerade für mehr Bürokratie?
Nein. Es geht um die Sicherstellung einer guten und qualifizierten Patientenversorgung. Das dient dann auch der Weiterentwicklung der Profession der Pflege. Die Bundesregierung arbeitet gerade an einem Referentenentwurf. Sobald dieser vorliegt, werden wir genau prüfen, in welchen Bereichen er in die richtige Richtung zielt, und wo es noch Änderungen geben muss. Ich halte es übrigens für selbstverständlich, dass auch die Assistenzberufe endlich bundesweit einheitlich geregelt werden. Das betrifft die Ausbildungsinhalte und die Ausbildungsdauer, aber eben auch die Definition, welche Leistungen diese Assistenzberufe unter wessen Aufsicht erbringen dürfen. Wichtig ist auch die Frage, welche Möglichkeiten zur Weiterqualifikation es gibt. Dafür gibt es Modelle, die der Deutsche Bildungsrat für Pflegeberufe erarbeitet hat. Optimal wäre übrigens, wenn wir die Reform der Pflegeausbildung als eigenständige Berufskammer begleiten könnten, wie das bei anderen Berufen wie den Ärzten auch der Fall ist.
Wird die bisherige Altenpflege zu einem Assistenzberuf degradiert?
Gerade doch nicht! Die Altenpflege würde dann herabgestuft, wenn wir die anderen Berufsbilder reformierten mit dem Blick auf neue Aufgabenfelder und Qualifikationen, und dabei die Altenpflege ausklammern. Es geht um ein völlig neues Berufsbild der Pflege. Das ist eine Riesenchance für die Pflege, gerade auch in der geriatrischen Versorgung. Die entscheidende Frage lautet doch: Wer darf künftig an welchem Patienten welche Leistung erbringen? Das betrifft nicht nur die Abgrenzung innerhalb der verschiedenen Qualifikationen in der Pflege, sondern auch zu anderen Gesundheitsberufen, nicht zuletzt den Medizinern. Andererseits ist es sicher auch nicht nötig, für hauswirtschaftliche Tätigkeiten in der ambulanten Pflege eine Qualifikation auf Bachelor- oder gar Masterniveau vorzuweisen.
Besteht die Gefahr, dass heutige Fachkräfte der Altenpflege künftig Leistungen nicht mehr erbringen dürfen, die sie heute selbstverständlich erbringen, weil ihnen im neuen rechtlichen Rahmen die formale Qualifikation fehlt?
Wir führen doch auch heute schon Diskussionen über die Frage, wer für was qualifiziert ist und welche Leistungen jemand erbringen darf. Selbstverständlich müssen Übergangsphasen und der Bestandsschutz heutiger Qualifikationen geregelt werden. Die entscheidende Zukunftsfrage lautet doch: Wie können wir sicherstellen, dass es künftig ausreichend viele junge Menschen gibt, die sich für einen Beruf in der Pflege begeistern. Wenn ich sehe wie entsetzlich schlecht eine Einrichtung in der Altenpflege einen Ausbildungsplatz finanziert bekommt, wie schlecht eine Krankenpflegeausbildung finanziert wird, dann verstehe ich die Diskussion unter den Professionen nicht. Mit der generalistischen Ausbildung muss auch die Finanzierung geklärt und verbessert werden.
Sie haben die Selbstverwaltung, also die Pflegekammern angesprochen. Der Deutsche Pflegerat hat sich in der Vergangenheit zu einer schlagkräftigen Lobby, einer starken Berufsvertretung der Pflege entwickelt, gerade auch durch Ihre Person. Sind Pflegekammern mit Zwangsmitgliedschaften nicht ein veralteter Weg?
Vielen Dank für das Lob. Aber dieser Erfolg ist vor allem einem unglaublichen ehrenamtlichen Engagement vieler meiner Kolleginnen und Kollegen zu verdanken. Wir haben keine Strukturen, um auf Dauer dieses Niveau zu halten. Die größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen leistet es sich, ihre Belange ehrenamtlich vertreten zu lassen. Wenn wir für diese Berufsgruppe dauerhaft diese Leistung erbringen wollen, dann brauchen wir professionelle Strukturen wie die anderen Berufsgruppen auch. Die Gegner der Pflegekammern wollen, dass Ärzte und Arbeitgeber über die Pflege bestimmen. Nur mit einer eigenen Berufskammer, die zum Beispiel Ausbildungswege regelt oder berufsrechtliche Standards aufstellen kann, erhält die Pflege die Eigenständigkeit, die ihr zusteht und die andere Berufsgruppen selbstverständlich haben.
Wäre es nicht der bessere Weg, zum Beispiel ein Bundespflegeinstitut zu schaffen, das die Expertise der Pflegewissenschaftler in die Politik und die Entscheidungsgremien des G-BA trägt?
Es gibt in vielen Gesetzen Vorschriften, wie die Pflege an Entscheidungen beteiligt werden soll. Die Erfahrung lehrt: Keines der Instrumente, die theoretisch dazu in der Lage gewesen wären, die Pflege an Entscheidungen zu beteiligen, hat in den vergangenen 30 Jahren gegriffen.